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Landeshauptstadt: „Ich stehe jetzt bei Null“

Der Potsdamer Thomas Richen ist zurück aus Khao Lak. Das Schlimmste nach der Flutwelle, sagt er, war der Anblick der Leichen

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Der Potsdamer Thomas Richen ist zurück aus Khao Lak. Das Schlimmste nach der Flutwelle, sagt er, war der Anblick der Leichen Von Beruf ist er Maler. Und ausgebildeter Tauchlehrer. Das Vordringen in die ozeanische Tiefen hat der 29-Jährige im Tauchshop Potsdam gelernt. Dort, in dem kleinen Spezialladen in der Berliner Straße, hat die Geschichte, die Thomas Richen erzählt, ihren Anfang genommen. Gestern ist er genau dorthin zurück gekehrt. Zurück aus Khao Lak, dem von der Bebenflutwelle völlig zerstörten Urlauberparadies nördlich der thailändischen Insel Phuket. Zurück mit nicht mehr als dem Inhalt seiner Reisetasche und den geschenkten Klamotten am Leib. Sein blauer Pullover trägt die Aufschrift „Lufthansa - first class“. Zurück, blank, aber am Leben. „Ich stehe jetzt bei Null“, sagt er. Meint er nur die hinweggespülte Tauchbasis in Khao Lak, in der er seit Oktober sein Glück zu finden suchte? Am Ende seines Berichtes wird er sagen „ich wäre froh, ich hätte es nicht gesehen“. Nicht nur das Abhandenkommen von Habseligkeiten können einen Menschen auf Null bringen. „Es war ein wunderschöner Tag“, erzählt Thomas Richen. Früh klingelt der Wecker. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau. Alles ist so, wie es sein soll am Indischen Ozean. Um acht Uhr spürt er das Beben. Er denkt sich, „okay, ein Erdbeben, da ist nichts dabei“. Er geht ins Office seiner Tauchbasis. Zuvor hatte er noch zwei Tauchkunden zum Strand gebracht. Um zehn Uhr sitzen die Touristen beim Frühstück in ihren Bungalows oder davor. Plötzlich fällt der Strom aus. Er rennt aus seinem Office, draußen herrscht ein „Riesentumult“. Thomas Richen rührt den Kaffee nicht an, den ihm Marina „Mary“ Solpel in ihrem Potsdamer Tauchshop neben ihn gestellt hat. Seine Mundwinkel sind herunter gezogen. Sein Gesicht wirkt nicht braun, wie es sein sollte bei jemandem, der aus der Sonne kommt. Häufig schimmert es in einem fahlen Rötlich – besonders in den Minuten, in denen er die wenigen Sekunden schildert, die folgten, nach dem er aus dem Tauch-Office trat. Ein Lkw mit Thailändern auf der Ladefläche rast in großer Geschwindigkeit vorbei – und überfährt ein Moped. Einfach so. Der Potsdamer ist entsetzt, begreift aber nicht. „Ich gucke um die Kurve, da kommt eine riesige Welle.“ Ein Thaijunge schreit: „Big Wave! Big Wave!“. Die Menschen rennen um ihr Leben. „Weg, weg“, denkt nun auch Thomas Richen. Ein Thaijunge wirft ihm einen Mopedschlüssel zu, er startet die Maschine, der Junge wirft sich auf den Sozius und sie fahren vor der Welle her. Das Meer, das er mit Maske und Luftflasche bezwingen gelernt hat, es greift nach ihm. Sie fliehen mit Vollgas in die Berge, wohin die Arme des Ozeans nicht reichen. Er und andere, die sich retten konnten, übernachten im Dschungel der Berge. Liegen eng aneinander. Es ist kalt. Mehrmals wiederholt der junge Mann den Satz: „Es ist erschreckend, wie wenig Europäer auf dem Berg waren.“ Wie wenig Leute überhaupt in den ersten Auffanglagern waren. Wie wenig Urlauber es bis dorthin geschafft haben. Am Morgen gehen sie zurück nach Khao Lak. In den Ort, der ihn wegen seiner relativen Unerschlossenheit gereizt hatte. Es wurde viel gebaut. Aber es war noch schön. Hier wollte Thomas Richen, der aus Frankfurt (Oder) stammt und zuvor fünf Jahre in Potsdam gewohnt hatte, eine gute Zeit haben. Anderen das Tauchen beibringen und selbst ein noch besserer Taucher werden. Später wollte er nach Potsdam zurückkehren, wollte sein Hobby dann vollends zum Beruf machen. Doch „Khao Lak ist weg“, ist nun „komplett zerstört“. Überall liegen Tote umher. Das Militär „versuchte das Chaos irgendwie in den Griff zu bekommen.“ Mit Bulldozern werden Straßen frei geschoben. Skurril: „Die Obergeschosse der Häuser sahen super aus.“ Darunter „ist nicht mehr viel da“. „Das Schlimmste“, sagt Thomas Richen, „war der Anblick der Leichen.“ Der Überlebende „war einer von wenigen, die extremes Glück hatten“. Auch die Mitarbeiter seiner Tauchbasis haben überlebt, einer schwer verletzt. Er selbst kommt in ein Militärcamp, ein Bus bringt ihn weiter auf die Insel Phuket, ein Flugzeug von dort nach Bangkok. Dort kauft er eine Zeitung, erfährt so vom Ausmaß der Katastrophe. Thomas Richen lobt die Thailänder Behörden. „Es wurde von den Thais super organisiert.“ Das „Desinteresse der deutschen Botschaft“ kritisiert er. Die weniger Deutschen am Flughafen seien völlig überfordert. Dabei wäre Zeit gewesen, Personal einzufliegen. In Bangkok räumen Studenten ihre Wohnheime für die Flüchtlinge. Telefone werden bereitgestellt, er kann ein Lebenszeichen nach Deutschland absetzen. Seine Mutter erfährt, dass er lebt. Von Bangkok fliegt er weiter nach Frankfurt (Main). Am Dienstagabend Ankunft in Berlin-Tegel. Er übernachtet bei Freunden. Gestern Nachmittag trifft er im Tauchshop ein. Von dort telefoniert er wieder mit seiner Mutter in Franfurt(Oder). Sie wird ihn am Abend abholen. Er erklärt ihr, wie sie den Weg zum Tauchshop findet. Wohin sein Weg nun führen wird, weiß Thomas Richen nicht.

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