Homepage: „Ich suche nach einem Mittelweg“
Einstein-Stipendiat Mischa Gabowitsch erforscht in Einsteins Gartenhaus in Caputh die Vergangenheitsbewältigung in Ost und West
Stand:
Der erste Einstein-Stipendiat heißt Mischa Gabowitsch. Auf Einladung des Potsdamer Einstein Forums wird er für fünf Monate im Gartenhaus von Einsteins Sommerresidenz in Caputh residieren. Der in Moskau geborene 30-Jährige wuchs in Karlsruhe auf, studierte Politik und Philosophie in Oxford sowie Geschichte und Soziologie an der renommierten Hochschule für Sozialwissenschaften in Paris. Vor kurzem schloss er dort seine Doktorarbeit über die Wahrnehmung des Nationalismus in der russischen Gesellschaft ab. Bis 2006 war er in Moskau Chefredakteur der russischen Debattierzeitschrift „Eiserne Ration“. Seitdem lebt er mit Frau und Sohn als freier Übersetzer in Berlin.
Herr Gabowitsch, Ihr Forschungsprojekt lautet „The (Post-)Soviet Condition: An Ethical Inquiry“. Worum geht es?
In Deutschland gibt es für den Umgang mit der nationalsozialistischen Geschichte den Begriff „Vergangenheitsbewältigung“, der nicht nur erklärungsbedürftig, sondern auch schwer in andere Sprachen zu übersetzen ist. In Russland gab es Ende der achtziger Jahre eine breit geführte und kritische Diskussion über den Stalinismus in der Sowjetunion. Diese Debatte ist jedoch schnell abgeflaut und wird nur noch von einer liberal-intellektuellen Minderheit weitergeführt. Gleichzeitig gibt ist es in breiten gesellschaftlichen und politischen Kreisen eine Art „rhetorischer Restauration“ der Stalinzeit. Nach dem Motto: Nicht alles war schlecht, es gab Modernisierung. Viele russische Intellektuelle führen diese Haltung auf das Fehlen einer kritischen Geschichtsaufarbeitung zurück, wie sie in Deutschland angeblich sofort nach 1945 stattgefunden hat. Diese Einschätzung ist problematisch.
Warum?
Der Weg der Aufarbeitung der NS-Zeit in Deutschland war lang und schwer. Zudem gibt es in Ost und West bis heute sehr unterschiedliche Traditionen. Kurz gesagt: Der deutsche Umgang mit der Geschichte ist auf Russland kaum übertragbar, auch wenn man vieles daraus lernen kann. Die deutsche Vergangenheitsbewältigung wird jedoch in der russischen Diskussion entweder idealisiert oder aber als Sonderfall verworfen. Ich suche nach einem Mittelweg.
Sie verknüpfen philosophische und historische Überlegungen mit Elementen ihrer eigenen Biografie. Wozu?
Ich bin zwar in Russland geboren, aber in Westeuropa aufgewachsen. In Russland kann man jemandem wie mir vorwerfen, dass ich eigentlich kein „richtiger“ Russe sei. Ein Teil meiner Familie stammt aus Estland, das erst 1940 Teil der Sowjetunion wurde und heute wieder unabhängig ist. Mich interessieren unterschiedliche Perspektiven auf die Geschichte: Faktoren wie Jahrgang, geographische Herkunft und Biografie spielen dabei eine wichtige Rolle. Ist es wichtig, ob man vom Rand des Imperiums kommt? Ob eigene Familienmitglieder am Terror beteiligt waren und/oder zu Opfern wurden? Der stalinsche Terror war willkürlich und verlief in mehreren Wellen. Daher sind Opfer und Täter des Sowjetregimes, im Gegensatz zu den relativ klaren Opferkategorien des NS-Regimes in Deutschland, viel schwerer zu unterscheiden.
Auf welche Probleme sind Sie gestoßen?
Ein Beispiel: In Russland rankt sich ein Mythos um den „Großen Vaterländischen Krieg“ 1941-1945. Es war zwar ein Krieg zwischen zwei totalitären Staaten. Verbrechen gab es nicht nur auf deutscher Seite, sondern auch auf der sowjetischen: Deportationen, Massenerschießungen und Arbeitslager. Trotzdem lassen sich der Sieg über Hitlerdeutschland und die sinnstiftende Erfahrung des Kriegs nicht einfach als Propaganda abtun. Es gibt sehr unterschiedliche Erinnerungen. Negative und positive, stolze und verbitterte. Daher lässt sich kaum ein einheitliches „Wir“ im Umgang mit dieser Ära formulieren.
Wie kamen Sie auf das Thema?
Durch ein gemeinsames Themenheft der russischen Zeitschrift „Eiserne Ration“ mit den Berliner Kollegen von „Osteuropa“. Darin haben wir uns mit der Kriegserinnerung in den beiden Ländern auseinandergesetzt. Es hat sich in Russland sehr gut verkauft, und die Arbeit an der zweiten Auflage hat mich zu einem noch intensiveren Umgang mit dem Thema bewegt. Heute geht es mir vor allem darum, den gegenwärtigen Umgang mit Kriegserinnerungen in Russland kritisch zu beleuchten. Mich stört nicht nur die einseitige Glorifizierung des „heldenhaften sowjetischen Volkes“ wie zu Zeiten Breschnews, sondern auch der distanzierte Ton vieler kritischer Liberaler, die für sich in Anspruch nehmen, nie ein Teil des Sowjetsystems gewesen zu sein.
Wann und in welcher Form werden Sie ihre Arbeit abschließen?
Ob in Form einer wissenschaftlichen Untersuchung oder eines Essays, kann ich noch nicht sagen. Auf jeden Fall werde ich im Januar 2008 im Einstein Forum einen Vortrag halten und die wesentliche Ergebnisse präsentieren.
Das Gespräch führte Arno Meinken
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