
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: „Ich wurde dafür ausgebildet, verdammte Scheiße“
Zurück aus Basra: Am Gymnasium Hermannswerder feiert am Samstag das Stück „Kollateral“ Premiere
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Das Grauen kennt keine Grenzen: Kriegsheimkehrer Danny ist zurück aus dem Irak. Zurück mit all dem Wahnsinn in seinem Kopf. „Was wir alles in Basra erlebt haben!“ Lustig sei es gewesen, resümiert der Veteran. „Ein paar Tote hier und da – man gewöhnt sich dran.“ Ja, Danny hat sich super daran gewöhnt. Ohne Macht über andere, ohne Gewalt kann der einstige Irakkriegssoldat anscheinend nicht mehr leben. Die verschüchterte Jade lässt er das am eigenen Leibe spüren: Hat er gerade Benzin oder doch nur Wasser über das verängstigte Mädchen gegossen?
„Lass mich beweinen mein grausames Schicksal“, die berühmte Arie aus Händels Oper Rinaldo, erklingt plötzlich, während Jade noch völlig gedemütigt auf dem Boden kniet. Wie in Lars von Triers eindrücklichem Prolog im „Antichrist", in dem jene Händel-Arie ertönt, scheint das Schicksal jetzt ein Finale herauszufordern: Im „Antichrist“ fällt das Kind eines Paares just in dem Moment aus dem Fenster, als die Eltern miteinander schlafen. Bei „Kollateral“, einem Theaterstück, das am heutigen Samstag im Evangelischen Gymnasium Hermannswerder Premiere feiert, hört der Zuschauer zu den Klängen von Rinaldo förmlich die Zeitbombe ticken.
„Kollateral“, ein Stück, das Schüler der 11. Jahrgangsstufe an diesem Wochenende auf die Bühne bringen, basiert auf dem im Jahre 2006 uraufgeführten Drama „Motortown“ des englischen Dramatikers Simon Stephens. Die Schüler des Evangelischen Gymnasiums um ihren Lehrer Hans-Albrecht Weber haben das Schauspiel bearbeitet, Dialoge hinzugeschrieben, Personen erfunden. Als ihr Lehrer das Stück für den Kurs Darstellendes Spiel vorschlug, seien sie zunächst „ein bisschen skeptisch“ gewesen, berichtet Johanna Rothmann, selbst Schülerin des Kurses. Die Kriegsheimkehr sei ein Steckenpferd von Lehrer Weber. Das habe man schon vorher gewusst. Nach anfänglichen Zweifeln an dem Vorschlag Webers seien dann aber alle schnell mit dem Stück warmgeworden. „Es macht ja niemand, wenn man es nicht machen möchte“, sagt die 17-Jährige und verweist darauf, dass die Schüler die Wahl zwischen mehreren Theaterkursen hatten. Und wer in der 11. Jahrgangsstufe überhaupt nicht Theater spielen wollte, habe sich auch anderen Projekten, wie der Choraufführung von Händels „Messias“, widmen können. Im September vorigen Jahres sei es mit den wöchentlichen Proben für „Kollateral“ losgegangen. Im März habe dann sogar ein Probenwochenende im Schloss Gollwitz nahe Brandenburg an der Havel auf dem Programm gestanden. Ganz intensiv sei noch einmal die Probenzeit in den letzten Tagen gewesen.
Gemeinsam mit einer Mitschülerin habe sie die ergänzten Szenen für die Schulaufführung von „Kollateral“ geschrieben, erzählt Rothmann, die selbst vielleicht später Drehbuchautorin werden möchte. Besonders eindrucksvoll unter diesen eingefügten Dialogen sind dabei die Gespräche von Kriegsheimkehrer Danny mit der Psychologin Doktor Anna Steel. Die Vergewaltigungsszene, die ihm die Psychologin auf dem Laptop vorspielt, bezeichnet er einfach als geil. Noch einmal steigt Danny mit seinen Gedanken ganz tief ein in diese „Kollateral“-Erscheinung des Wüstenkrieges am Persischen Golf. Therapeutin Steel konfrontiert ihn daraufhin mit der Frage, ob er dies auch so sagen würde, wenn jemand seinem Bruder solches Leid antäte. Essen, schießen, schlafen – so habe sein Alltag im irakischen Basra ausgesehen, wird Danny in einer späteren Szene berichten. Noch immer sei er bereit zu töten – auch daheim in Großbritannien: „Ich wurde dafür ausgebildet, verdammte Scheiße.“
Jedes Mal aufs Neue sei diese Dramatik sehr berührend, sagt Rothmann. Bei den Proben habe sie zuweilen geweint, so ergriffen sei sie gewesen. Doch, so merkt die 16-jährige Schülerschauspielerin Julietta Hofmann an, wenn ein Theaterstück den Menschen derart nahe gehe, denke sie besonders intensiv über den Inhalt nach. Im Unterricht am Gymnasium hätten sich die Schüler zudem schon lange mit posttraumatischen Belastungsstörungen beschäftigt, sodass dieses Thema nicht unvorbereitet über die Teilnehmer dieses Schauspielkurses hereingebrochen sei. Bei der Generalprobe am Donnerstag war es hingegen noch die Textunsicherheit, mit der die jungen Schauspieler zu kämpfen hatten. „Da fehlte eine ganze Menge“, sagt Rothmann, die bei der Aufführung als Souffleuse fungierte.
Doch einer alten Weisheit zufolge ist es ja bekanntlich so, dass auf eine nicht perfekte Generalprobe eine gelungene Aufführung folgt.
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