Kolumne Etwas HELLA: Ich würde gern mitstreiken
Eigentlich sind Streiks etwas Schönes. Speziell die der öffentlichen Bus- und Tramfahrer.
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Eigentlich sind Streiks etwas Schönes. Speziell die der öffentlichen Bus- und Tramfahrer. Ich wohne nämlich direkt an einer Straßenbahnhaltestelle und auch Busse drücken hin und wieder unweit meiner Haustür knirschend auf die Bremse. Deshalb habe ich die himmlische Ruhe bisher genossen, mal abgesehen von den paar Noteinsätzen der Öffentlichen und dem üblichen Autoverkehr. Ängste, dass es zu ruhig werden könnte, kommen in der Stadt ja ohnehin nicht auf. Ich bin – wie Sie als treuer Leser meiner Kolumnen wissen – ein notorischer Radfahrer und deshalb auch ein Streikbrecher der hartnäckigen Sorte. Und ich habe nicht einmal ein schlechtes Gewissen, weil ich selbst bei Normalversorgung durch Bus und Tram das Fahrrad bevorzuge. Ich weiß, Berufstätige mit langen Strecken zur Arbeit, vor allem die Radfahrhasser, sehen das nicht so entspannt. Und schon gar nicht die Berlinpendler, wenn nun auch noch die Züge und die S-Bahn ausfallen.
Das Potsdamer Möbelhaus, das nun schon zum zweiten Mal die Lieferung meines neu gekauften Sofas verschob, kann sich allerdings nicht auf irgendwelche Streiks berufen. Ein Sofa rollt weder mit der Straßenbahn noch mit dem Güterzug an. Ungeachtet dessen habe ich mich zu einem Kompromiss durchgerungen und erst einmal ein paar Stühle als Sofaersatz hingestellt. Womit es nun doch gefallen ist, das böse K-Wort und da meine ich nicht Konflikt, sondern Kompromiss.
Wer findet, dass seine/ihre (natürlich bin ich für absolute Gleichberechtigung, wenn es ums Geld geht) Arbeit mehr wert ist, als gerade bezahlt wird, der soll und muss streiken. Denn auch heute in der gar nicht mehr so sozialen Marktwirtschaft ist es nicht weit her mit der freiwilligen Wertschätzung von Arbeit. Manchmal ist allerdings das Geld beim Arbeitgeber wirklich knapp. Also irgendwann doch K wie Kompromiss statt Konflikt und Kampf bis bei allen die Nerven blank liegen?
Denn auch ich bin nicht bei allen Streikwellen so entspannt wie beim Nahverkehr. Die Lokführergewerkschaft geht mir zum Beispiel mittlerweile auf den Geist. Nicht nur, das ich meine nächste Tour nach Wernigerode kaum mit dem Rad absolvieren möchte, ich verstehe den GDL-Chef auch nicht mehr so richtig. Will er nur noch sein Ego streicheln oder etwas für seine Leute erreichen? Beim Fliegen habe ich schon die Reißleine gezogen. Ich meide Lufthansa beziehungsweise Eurowings wie der Teufel das Weihwasser. Der Mensch ist nämlich nicht nur ein unverbesserlicher Egoist, er ist auch bequem und hat – selbst der ansonsten gutwillige und verständnisvolle – nur begrenztes Verständnis für Endlosstreiks.
Wenn allerdings die freiberuflichen Dozenten an der Volkshochschule, speziell die Deutschlehrer, die nach allen Abzügen mit ihrem Salär gerade etwas über Hartz IV liegen, streiken würden, machte ich mit. Erstens wegen die Gerechtigkeit und zweitens liegt mich die deutsche Sprache ganz tolle ans Herz.
Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Autorin der PNN. Sie lebt in Potsdam
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