Landeshauptstadt: Idealisten und Verzweifelte
Tierheimdebatte, Parkerlebnisse und digitale Popkultur: Eine Reise in die Potsdamer „Blogosphäre“
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„OB ins Tierheim!“ – das forderte am vergangenen Sonntag der Autor des Potsdamer Blogs „klisch.net“ – und mischte sich damit in die Diskussion um die Zustände im Potsdamer Tierheim. Die findet mittlerweile nämlich nicht nur in Zeitungen und auf Diskussionsrunden statt, sondern auch im Internet. Denn der Tierschutzverein betreibt seit 2006 ein eigenes Blog. „Potsdam braucht ein neues Tierheim“ ist der selbsterklärende Titel dieses Internet-Tagebuches. „Die Grundaussage ist einfach: Wir haben zu wenig Platz!“, schreiben die Macher.
27 000 Blogs gibt es schätzungsweise in Deutschland (siehe Kasten). Dabei handelt es sich aber nicht nur um Privat-Tagebücher. Für die Internet-Gemeinde ist jedes Thema interessant genug: „Es gibt für jeden den richtigen Blog“, glaubt Nico Roicke. Der 27-Jährige ist einer der wenigen Potsdamer, der aktiv bloggt.
Die Texte von 70 Blogs lese er täglich, erklärt der Medienwissenschaftler, der sich als Videoproduzent selbständig gemacht hat: Darunter die Artikel von Zeitungen und Zeitschriften, aber auch den Polizeibericht – und 40 private Blogs wie den „Spreeblick“ aus der Hauptstadt. Damit er nicht alle Internetseiten extra aufrufen muss, nutzt er eine Software, die die neuen Texte der ausgewählten Seiten gesammelt präsentiert. „Mir wird unwohl, wenn ich nicht alles gelesen habe“, sagt Roicke. Sein Computer zählt mit. Im Internet ist Roicke „ständig“.
Denn er ist auch einer der drei Köpfe hinter „Jackpotbaby“. Für dieses Blog, das er mitgegründet hat, schreibt er täglich: „Und wenn es nur drei Zeilen sind“ – das habe er sich jedenfalls vorgenommen. Seine Themen sind vorwiegend Konzert- und Plattenrezensionen – Oder „Neue digitale Popkultur“ wie es auf der Seite heißt.
Angefangen hat es 2003 ganz konventionell mit einer Zeitschrift. „Jackpot Baby!“ hieß das Fanmagazin mit Interviews, Comics und Musikrezensionen, das allerdings nur viermal erschien: Vor gut einem Jahr erfolgte der Umzug in die „Blogosphäre“, erinnert sich Roicke. Auf durchschnittlich 500 Klicks am Tag komme die Seite dort, in der virtuellen Gemeinschaft der Internet-Schreiber.
Nach anderen Potsdamer Autoren muss man allerdings suchen: Die Zahl der aktiven Blogs aus der Landeshauptstadt kann man an zwei Händen abzählen. Verglichen mit Leipzig gebe es hier „eine Lücke“, bestätigt Roicke.
Das dachten sich auch Christin Hering und ihre Kollegen vom Medienlabor. Die aus einem Seminar der Universität Potsdam entstandene Marketing-Firma entwickelte deshalb das „Potsblog“ – „eine Plattform für alle, die in Potsdam und Umgebung Alltag erleben“. Im Dezember 2006 ging die Seite online – und ist seitdem auf Autorensuche. Auf die Frage, wo die schreibwütigen Potsdamer sind, hat Hering aber auch keine schlüssige Antwort: Vielleicht ist es die Nähe zur Metropole Berlin, die die Kreativen wegzieht, spekuliert sie.
In der Landeshauptstadt bleiben nur Einzelkämpfer: Die Macher von „Babelsberg Movements“ oder „Orangata“ zum Beispiel. Sie nehmen den Tagebuch-Gedanken ernst und lassen die Leser an ihren Alltagserlebnissen teilhaben.
Aber warum sollte man überhaupt bloggen? Leben kann man davon jedenfalls nicht, bestätigt Nico Roicke: Dabei hat „Jackpotbaby“ sogar ein halbes Jahr lang ein Stipendium von „jetzt.de“, der Internetausgabe einer Beilage der Süddeutschen Zeitung, bekommen – als eines von fünf Blogs deutschlandweit. Mit seinen Mitschreibern verständigte Roicke sich darauf, mit dem Geld die Serverkosten zu bezahlen.
Tatsächlich treibt die Blogger wohl eher eine gehörige Portion Idealismus: Von einer „neuen Form der Diskussionskultur“ spricht zum Beispiel Jackpotbaby-Schreiber und Potsdamer Hannes Mandel. Denn was einen Blog von einem Text in der Zeitung unterscheide, sei die Kommentarfunktion: „Ein Artikel ist nicht fertig, wenn der Autor den letzten Satz geschrieben hat“, erklärt Roicke.
Bloggen führe nicht nur zu „besseren Texten“, sondern ist auch „demokratiefördernd“, glaubt Mandel. Außerdem würden Blog-Beiträge bei Internetsuchmaschinen wie „Google“ als wichtig eingeschätzt und höher gerankt, sagt der Medienwissenschaftler: So könne man „Themen setzen“. Blogs schaffen eine „Gegenöffentlichkeit“, sagt Nico Roicke und führt als bekanntestes Beispiel das „Bildblog“ an. Deren Macher begleiten seit 2004 „eine große deutsche Boulevardzeitung“ kritisch im Internet.
Um Öffentlichkeit geht es auch den Initiatoren des Potsdamer „Parkblogs“. Dort sollen Stimmen zum Aufreger-Thema Parkordnung gesammelt werden. „Parkerlebnisse und Gedanken aus Babelsberg“ lautet der Untertitel des Tagebuchs, für das Lutz Boede von der Fraktion „Die Andere“ verantwortlich zeichnet. „Nur mit der nötigen Öffentlichkeit können wir der Schlösserstiftung ihre Grenzen aufzeigen!“, heißt es im Impressum. Genutzt wird die Seite allerdings nicht gerade rege: Zwischen den einzelnen Einträgen liegen zum Teil mehrere Wochen.
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