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Landeshauptstadt: Im aufgeblähten Hemd zwischen Himmel und Erde

Ballonfahrt auf Potsdams Horizont: Höhenangst verpufft im Fauchen des Brenners

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Ballonfahrt auf Potsdams Horizont: Höhenangst verpufft im Fauchen des Brenners Von Nicola Klusemann Der Helium gefüllte Ballon reißt sich los, gewinnt schnell an Höhe und wird vom Herbstwind Richtung Nordwesten geblasen. Als kleiner gelber Punkt am kaltblauen Himmel markiert er, wohin die Reise geht. Ins Blaue, wie jede Ballonfahrt. Über eine Länge von über achtundzwanzig Metern schlängelt sich die bunte Stoffbahn auf dem Fluggelände Saarmund. Mit ohrenbetäubenden Getöse entfaltet das Gebläse die bunte Hülle, die mit dünnen Stahlseilen an der Gondel befestigt ist. In den tosenden Geräuschteppich hinein gibt der Pilot Winnie Kimmel Order. Wortfetzen und schnelle Armbewegungen bedeuten den Helfern: Hier ein bisschen mehr ziehen, dort nachgeben. Die Ballonseide schlägt Wellen, ein farbenfrohes Meer aus Stoff. Der Ballon nimmt langsam Form an, wie ein schlafendes Ungetüm nimmt er Zug um Zug warme Luft und richtet sich langsam auf. 6000 Kubikmeter fasst die Hülle aus gummibeschichtetem Nylon. „Schnell, alle Richtung Korb“, wird der Pilotenbefehl weitergetragen. Gebläse aus, Brenner an. Flammendes Drachenfauchen zischt in die Ballonöffnung. Eine Böe drückt gegen die Hülle, der Korb wird mitgeschleift. „Einsteigen, einsteigen.“ Sechs Abenteurer klettern flink in die geflochtene Kabine. „Ich möchte bitte starten“, funkt Kimmel mit eindringlichem Ton zum Tower. Dort hört man ihn nicht. „Ich möchte bitte starten!“ Das Tau zwischen Geländewagen und Gondel spannt sich, der Ballon zerrt heftig an der Verbindung zwischen Himmel und Erde. „Sie können starten“, krächzt es aus dem Funkgerät. Die Leine wird gekappt. Fauchender Antrieb schickt Pilot und Besatzung Richtung Himmelszelt. Die Welt da unten wird schnell kleiner. Wir schweben. Ebenso entschwebte vor mehr als dreihundert Jahren ein Hemd. Das kam allerdings nur bis zur Zimmerdecke. Es beflügelte einmal mehr den Wunsch des Menschen fliegen zu können. Es war Joseph Michel Montgolfier, der im Oktober 1783 am prasselnden Kamin saß, vor dem er sein Oberhemd zum Trocknen aufgespannt hatte. Der warme Rauch des Kaminfeuers fing sich unter dem Wäschestück, blähte es auf und ließ es gen Zimmerdecke fliegen. Das brachte Joseph Michel und seinen Bruder Etienne Jacques auf die Idee. Sie experimentierten zunächst mit kleinen Luftgefährten. Schnell wurden die Flugobjekte größer, die Montgolfiers bemannten eines mit Schaf, Ente und Hahn. Die drei tierischen Aeronauten blieben neun Minuten in der Luft und überlebten den Himmelsritt. Die gottesfürchtigen Franzosen selbst trauten sich aber nicht einzusteigen. Aus Angst vor dem göttlichen Zorn bestiegen die Brüder niemals einen ihrer Heißluftballone und brachten sich damit um eines der schönsten himmlischen Vergnügen. Wie auf einem Plateau – angebracht in fast 600 Metern Höhe – genießt die kleine Mannschaft um Pilot Kimmel die wunderbare Aussicht. Am Horizont streckt sich die Silhouette von Potsdam ins Himmelblau. Im Vordergrund die Eisenbahnbrücke über den Templiner See, dahinter ragen ein paar bunte Monolithen aus dem Häusermeer, zur Orientierung auch ein Wahrzeichen von Potsdam: Die matt grünlich schimmernde Kuppel der Nikolaikirche. Es ist windstill, die warme Luft des Brenners drückt in die offene Kabine. Die kleine Modellwelt zieht langsam vorbei. Seen eingerahmt von scheinbar unendlicher Waldfläche wirken wie Pfützen von Moosen umsäumt. Das Gefühl für Höhe geht verloren, die Höhenangst verpufft im Fauchen des Brenners. Die angenehme Art durch die Luft zu reisen, werde auch als Therapie gegen Flugangst eingesetzt, erzählt Kimmel, der seit fast elf Jahren seine Ballonpilotenlizenz besitzt. Die Videokameras der Mitfahrenden surren und sammeln Beweismaterial für die edlen Spender der Reise. Alle an Bord haben die Ballonfahrt per Gutschein geschenkt bekommen. „Hier Verfolger Achim“, meldet sich eine Stimme über Funk. Mit dem Transporter versucht der Abholdienst mit dem Flugobjekt mitzuhalten. Erdferkel nennt der Ballonfahrer liebevoll die Streckenbegleitung. Auch wenn der Ballon nur knapp 25 Kilometer pro Stunde zurücklegt, muss sich das Erdferkel ganz schön sputen. Die Sonne färbt sich rot-orange und näherte sich der gebogenen Trennlinie zwischen Himmelsgewölbe und Erdkruste. Zeit zu landen. Die kleine Welt wird wieder größer. In der drei geteilten Gondel stehen jetzt je drei Reisende hintereinander und halten sich an Taugriffen fest. Der Landepunkt ist ein Stoppelfeld, das zum Stotterfeld wird. Der Korb berührt die harte Erde, springt wieder hoch, schleift ruckartig über die Furchen und steht – in Schräglage. Ein Ballon darf überall landen. „99 Prozent der Bauern freuen sich“, sagt Kimmel. Ärger gebe es nur ganz selten. Unser Verfolger kommt pünktlich zum Rendezvous und treibt gleich alle an mitzuhelfen. Luft aus einem riesigen Ungetüm zu lassen, erfordert Körpereinsatz. Die Luftblasen werden mit dem eigenen Gewicht Richtung Ballonöffnung gedrückt, der Stoff zu einer langen Stoffbahn zusammengefaltet und in eine Tasche gestopft. Nach dieser letzten harten Prüfung wird man getauft und mit angesengten Haaren, Sekt auf der Stirn und Erde hinterm Ohr in den Adelsstand der Ballonfahrer erhoben. Das verpflichtet allerdings, jedem landenden Ballon, den man sieht, zu helfen, erklärt Kimmel. „Dazu gehört selbstverständlich auch das Einpacken.“ Das erfahren die Getauften natürlich erst nach der Zeremonie.

Nicola Klusemann

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