Homepage: Im Bauplan der Natur
Der Max-Planck-Forschungspreis 2008 geht an den Potsdamer Materialforscher Professor Peter Fratzl für seine Pionierleistungen auf dem noch jungen Wissensgebiet der Biomimetik
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Der Lotoseffekt, der mit abperlenden Wassertropfen den Schmutz von einer Oberfläche „putzt“, ist eine der bekanntesten technischen Lösungen, die in der jüngeren Vergangenheit von der Natur abgeschaut wurden. Inzwischen stoßen Materialforscher mit immer feineren „Werkzeugen“ in Nanowelten vor, die ihnen noch tiefere Einblicke in die ausgeklügelten Baupläne der Natur gestatten, um sie schließlich nachzubilden und für den Menschen nutzbar zu machen.
Peter Fratzl gehört zu den Pionieren auf dem Forschungsfeld der Biomimetik, das der aus Wien kommende Biophysiker am Potsdamer Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Golm etabliert hat. Dafür erhält er gemeinsam mit seinem amerikanischen Wissenschaftskollegen Robert Langer vom Massachusetts Institute of Technology den diesjährigen Max-Planck-Forschungspreis.
Gestiftet vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ist dieser Preis mit insgesamt 1,5 Millionen Euro einer der höchstdotierten deutschen Forschungspreise überhaupt. Morgen wird er von der Alexander von Humboldt-Stiftung und der Max-Planck-Gesellschaft auf einer Festveranstaltung in Dresden an die beiden Wissenschaftler verliehen.
Die Auszeichnung soll in der Spitzenforschung internationale Kooperationen vorantreiben und dabei vor allem Nachwuchswissenschaftler einbeziehen. So wird ein nicht geringer Teil der 750 000 Euro, die Peter Fratzl mit nach Potsdam bringt, in die Qualifizierung junger Leute fließen: in die Arbeit von Doktoranden, aber auch in die Ausbildung von Studenten, die für das noch wenig verbreitete Forschungsgebiet erst interessiert werden müssen. „Vor zehn Jahren war die Biomimetik noch gänzlich unbekannt“, sagt Peter Fratzl, der sich als Ingenieur und Physiker lange Zeit mit klassischen Fragen der Materialforschung beschäftigte, bevor er die in der Pflanzen- und Tierwelt vorkommenden Materialien in seine Überlegungen einbezog.
„Die Natur hat im Verlauf der Evolution enorm lange Zeit gehabt, technisch optimale Lösungen zu finden“, sagt Peter Fratzl. „Um ihre Ideen übernehmen zu können, müssen wir verstehen, wie die Natur zu diesen Lösungen gelangt ist.“ So hat sich ein Wissenschaftlerteam am Potsdamer Institut die Frage gestellt, warum Knochen oder auch Holz so extrem stabil und gleichzeitig verformbar sind. Warum ein Baum bis zu hundert Meter in die Höhe wachsen und weit über ein Menschenleben hinaus Wind und Wetter trotzen kann. Die Forscher analysierten die Strukturen des Holzes und ließen sich von dem Verbund aus weichen und harten Materialien zu eigenen technischen Lösungen inspirieren. Deren Vorteile gegenüber klassischen Bauweisen konnten sie im Praxistest klar belegen.
Um zu solchen Ergebnissen zu kommen, arbeiten in den Potsdamer Teams Wissenschaftler völlig unterschiedlicher Disziplinen zusammen: Biologen und Chemiker ebenso wie Physiker und Materialforscher. Selbst das Fachwissen von Medizinern ist gefragt, „wenn wir zum Beispiel die Struktur und das Frakturrisiko von Knochen untersuchen“, erklärt Fratzl, der sich hiervon wichtige Fortschritte in der Bekämpfung der Osteoporose erhofft.
„Es wird in der Biomimetik keine schnellen, dafür aber fundamental neue Lösungen geben“, ist sich der Materialforscher sicher. Einen Teil des Preisgeldes will Fratzl in die Erforschung der Bewegungsabläufe von Pflanzen investieren. Erst kürzlich hat er entdeckt, wie ein Weizenkorn sich mit Hilfe seiner Grannen selbst in den Boden bohrt. Im Gegensatz zu den komplex aufgebauten Muskeln des Menschen sorgt bei den Pflanzen der Wasserhaushalt für ein relativ unkompliziertes Bewegungssystem, „das sich leichter kopieren lässt“, glaubt Fratzl. Auf jeden Fall sieht er hier größere Chancen für eine technische Übertragbarkeit.
Gegenwärtig erlebt die Biomimetik einen Boom. Das Forschungsfeld explodiert förmlich, beobachtet Fratzl und will deshalb mit dem Preisgeld auch eine Sommerschule organisieren, in der sich junge Biologen und Chemiker, Ingenieure, Physiker und Mediziner für die Biomimetik fit machen können. Das Fach an sich kann man nicht studieren. Es lebt von der kreativen Konfrontation und den mutigen Grenzüberschreitungen verschiedener Disziplinen.
Dass die Biomimetik mehr und mehr auch ins Blickfeld der Öffentlichkeit rückt, zeigt die aktuelle Ausstellung im Berliner Max-Liebermann-Haus am Brandenburger Tor, die Peter Fratzl wärmstens empfiehlt. Vom historischen Lilienthal-Gleiter bis zur modernen Konstruktion eines „bionic cars“ beleuchtet sie die interessantesten Schnittstellen zwischen Natur und Technik.
Antje Horn-Conrad
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