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Wissen zum Anfassen. Diese interaktive Karte von Venedig zeigt auf Berührung Informationen zu wichtigen Architektur- und Designprojekten. Über den tischgroßen Bildschirm navigiert man dabei mit einem faustgroßen Klotz. Die Karte ist Ergebnis eines deutsch-italienischen Projektes von FH-Dozent Till Nagel.

© FHP

Campus Potsdam: Im Dickicht der Netze

250 Gäste bei Tagung zur digitalen Stadt an der Fachhochschule Potsdam. Die FH plant einen neuen Studiengang „Urbane Zukunft“.

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130 City-Lights-Werbefenster leuchten in Potsdam die ganze Nacht durch – zum Beispiel an Tram-Haltestellen. Mit der gleichen Energie, so haben es Studenten der Fachhochschule Potsdam (FH) ausgerechnet, könnte man 15 Einfamilienhäuser ein Jahr mit Strom versorgen. Geschätzte 17 753 Euro kostet das. „Ich jogge immer nachts“, sagt die angehende Kommunikationsdesignerin Linda-Marie Hanses: „Da ist mir aufgefallen: Ich bin allein, aber alles leuchtet.“ Unter dem Projekttitel „Lichtblick“ ging sie gemeinsam mit zwei Kommillitonen der Beobachtung nach – und versuchte zu beziffern, was die Rund-um-die-Uhr-Bespielung mit Werbung kostet.

Das Ergebnis stellen sie mit Postern auf der am Donnerstag eröffneten Tagung „Stadt der Ströme“ vor, zur der die FH gemeinsam mit der Stadt eingeladen hatte. Rund 250 Teilnehmer kamen laut den Organisatoren zum Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse, dem Veranstaltungsort, an dem es ironischerweise kein W-Lan und damit keinen schnellen Internetzugang gibt.

Dabei ist genau das Internet Ausgangspunkt der interdisziplinären Tagung: Es geht um die Annahme, dass das Zusammenleben in Städten zunehmend von digitalen Technologien geprägt wird, dass eine Generation von global vernetzten „digital natives“ heranwächst, die sich unabhängig von Ort und Zeit im Netz organisiert und informiert – und für die eine Stadt als Lebensort eine andere Bedeutung bekommt. „Die digitale Schicht der Stadt ist fast schon wichtiger als die analoge“, meint etwa FH-Dozent Till Nagel. Ob das tatsächlich so ist und was digitale Technologien für Einwohner, Stadtplaner, Architekten oder Sozialarbeiter bedeuten können, damit beschäftigt sich das interdisziplinäre „Innovationskolleg Stadtklima“ an der Fachhochschule bereits seit zwei Jahren. Auf der Tagung diskutieren die Potsdamer Wissenschaftler nun noch bis zum morgigen Samstag mit Experten unter anderem aus den USA, Großbritannien und den Niederlanden.

„Die digitale Welt ist nicht unabhängig von der realen Welt“, betont Hans Christoph Hobohm, FH-Professor für Bibliothekswissenschaften. Er macht sogar einen Trend zurück zum Analogen aus: „Der analoge Ort gewinnt wieder an Bedeutung.“ In Potsdam sei das etwa beim Kulturstandort Schiffbauergasse spürbar, aber auch bei der Sanierung der Stadt- und Landesbibliothek. „Die Fragen des Lebens müssen weiter real gelöst werden“, meint auch Sozialwissenschaftlerin Jutta Bott von der FH, eine der Mitinitiatorinnen des Innovationskollegs.

Der Kulturwissenschaftler Hermann Voesgen wählt einen anderen Blickwinkel: Bei städtebaulichen Debatten wie jüngst der um den Standort von Hasso Plattners Kunsthalle in Potsdam stünden sich mittlerweile analoge und digitale Auffassungen von Stadt gegenüber, so seine Analyse. Die Meinung, eine Kunsthalle gehöre ins Zentrum der Stadt, entspreche dabei einem analogen Verständnis. Aus digitaler Betrachtungsweise – Voesgen versteht darunter die von Jugendlichen praktizierte Suche nach interessanten, auch abseits gelegenen Orten für neue Möglichkeiten – sei der jetzt favorisierte Jungfernsee dagegen naheliegend.

Fabian Kessl, Professor für Soziale Arbeit an der Universität Essen-Duisburg, warnt wiederum vor dem Glauben, eine global vernetzte Gesellschaft bedeute schon mehr Freiheit. Tatsächlich werde die Aufteilung in Millieus und Klassen heute im Internet schlicht reproduziert, meint er. So würden sich Mitglieder einer sozialen Schicht zum Beispiel in Internet-Chats über Themen, Sprache, aber auch die als „nicknames“ gewählten Pseudo-Namen zusammenfinden. Für den Bereich der Sozial- und Bildungspolitik stellt Kessl eine dem Digital-Trend gegenläufige Tendenz fest: So gebe es immer mehr stadtteilbezogene Angebote, die gleichzeitig aber auch nur noch projektbezogen – also für eine bestimmte Zeit – existierten. Durch diese Projektpolitik, die zudem oft mit Fördergeldern von privaten Stiftungen statt vom Staat oder von der Kommune finanziert werde, gerät in seinen Augen die Bildungsarbeit und Sozialarbeit generell in Gefahr: „Öffentliche und demokratische Entscheidungen sind tendenziell nicht mehr vorgesehen.“

Zu den Veränderungen, die digitale Technologien für den Alltag in Städten mit sich bringen, plant die Fachhochschule einen Forschungssschwerpunkt „Urbane Zukunft“, wie Design-Professor Frank Heidmannn erläuterte. Ziel sei es, Lösungsansätze für eine nachhaltige urbane Entwicklung von Bauen und Wohnen, Mobilität und Sozialstruktur zu erarbeiten. Frühestens 2013 soll dazu auch ein Master-Studiengang angeboten werden. Birgit-Katherine Seemann, die bei der Stadt den Fachbereich Museum verantwortet, lobte die Zusammenarbeit mit der Fachhochschule: „Die FH arbeitet sehr auf die Stadt zu und in die Stadt hinein.“ Ziel sei eine noch stärkere Vernetzung von Wissenschaft und Stadt.

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