Ausgesprochen KAPUSTE: Im französischen Spiegel
Louise, unsere französische Austauschschülerin, wird uns leider in einer Woche wieder verlassen. Im März war sie, vom gigantischen Pariser Flughafen „Charles de Gaulle“ kommend, auf dem Hinterhof des Provinzflughafens Berlin-Tegel gelandet und durch eine unwirtliche Winterlandschaft nach Potsdam gefahren, eine Landschaft ähnlich der, wie sie vor 2000 Jahren Tacitus so grauenvoll geschildert hat, dass die alten Römer von weiteren Versuchen, Germanien zu erobern, abließen.
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Louise, unsere französische Austauschschülerin, wird uns leider in einer Woche wieder verlassen. Im März war sie, vom gigantischen Pariser Flughafen „Charles de Gaulle“ kommend, auf dem Hinterhof des Provinzflughafens Berlin-Tegel gelandet und durch eine unwirtliche Winterlandschaft nach Potsdam gefahren, eine Landschaft ähnlich der, wie sie vor 2000 Jahren Tacitus so grauenvoll geschildert hat, dass die alten Römer von weiteren Versuchen, Germanien zu erobern, abließen.
Wir gaben uns Mühe, bei Louise gegen die üblichen Klischees über uns Deutsche anzukämpfen, als da sind: Wir seien humorlos, diszipliniert, arbeitswütig und bestens organisiert. Dabei haben wir mannigfache Unterstützung erfahren. Durch ihre deutschen Schulfreundinnen zum Beispiel, die ihr zeigten, dass es sich auch in unaufgeräumten Zimmern mit noch unaufgeräumteren Schreibtischen durchaus Hausarbeiten machen lässt, und dass man in der Schule nicht, wie in Frankreich, konzentriert dem Unterricht folgen muss, sondern mit seiner Nachbarin auch mal ein Schwätzchen halten und dabei Nahrung zu sich nehmen darf.
Die Stadt Potsdam hat ebenfalls ihren Teil dazu beigetragen. Im Positiven durch ihre sicherlich unerwartete Vielfalt der Gastronomie und ihr hervorragendes Kulturangebot. Im Negativen durch den Schmutz im öffentlichen Raum. Von wegen, wir seien pingelig sauber, wir, die Nachbarn jenseits des Rheins! Allerdings sieht es in Punkto Hundedreck in Frankreich auch nicht besser aus.
Dass die stocksteifen Deutschen auch zur Anarchie fähig sind, haben Berlin und Potsdam der guten Louise zur Genüge mir ihrem Straßenbauchaos bewiesen. Überall schien in den letzten Monaten der chinesische Verkehrsminister Um-Lei-Dong das Sagen zu haben. Wobei die Umleitungen auch ihr Gutes hatten. Wer wie wir in Eiche wohnt, darf ausgiebig die bislang touristisch unerschlossene Forststraße kennenlernen, und wir durften verfolgen, wie man beim endlos dauernden Ausbau der Charlottenstraße allenfalls Arbeiter bei einer kräftigenden Brotzeit, aber kaum bei der Arbeit entdecken konnte.
Louise hat ihre Deutschkenntnisse so weit verbessert, dass sie bereits Worte wie Eichenprozessionsspinnerbekämpfungsfirma oder Reisekostenrücktrittserstattungsformular, wenn auch bedächtig, aussprechen kann, und sie hat den Eindruck, „Scheißwetter“ sei das meistgebrauchte deutsche Wort. Sie hat viel über Land und Leute erfahren, wenn auch nicht alles verstanden, wie zum Beispiel, wieso das Hotel Mercure nicht abgerissen wird, warum sich die Bus- und Straßenbahnfahrer/innen im Vorbeifahren immer gegenseitig zuwinken und warum in Berlin ständig die Rolltreppen ausfallen.
Au revoir, Louise! À bientôt!
Unser Autor ist ehemaliger Stadtverordneter der CDU und war Vorsitzender des Ausschusses für Kultur. Er lebt in Eiche.
Eberhard Kapuste
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