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Homepage: Im Ghetto von Venedig

Vorlesungsreihe über das Judentum an der Uni

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Seit der Antike haben Denker nicht nur über das Metaphysische, sondern auch über das Gemeinwesen philosophiert. Giuseppe Veltri ist auch Philosoph. Zum Auftakt der Vorlesungsreihe „Glaubenseinheit und kulturelle Vielfalt“ am Institut für Jüdische Studien der Universität legte er den Fokus auf das real-pragmatische politische Denken. Letzteres sei nicht nur im Judentum der einzige Aspekt von Bedeutung, sondern auch grundlegend für unsere heutigen Demokratien.

Wie demokratisch Gesellschaften sind, zeige sich daran, wie sie mit ihren Minderheiten umgehen. In umgekehrter Perspektive lohne aber auch ein Blick in die jüdische politische Geschichte, die weitgehend eine Geschichte in der Diaspora, die einer Minderheit in Mehrheitsgesellschaften ist. Veltri, ein ausgewiesener Kenner der italienischen Renaissance, legte den Fokus auf Venedig, auf die Insel-Stadt, die ein Jahrtausend lang eine Republik war.

Im Zuge der Verfolgungen aus Spanien und Portugal gab im späten 15. Jahrhundert große jüdische Einwanderungswellen in die Stadt. Venedig räumte den Juden Wohnrecht ein und wies ihnen einen Stadtteil zu, der alsbald Ghetto hieß. Der Begriff verselbständigte sich über die Jahrhunderte und veränderte seine Bedeutung von einem Zufluchts- zu einem Verbannungsort. Auch Isaak Abravanel zog 1503 nach Venedig. Der „größte Gelehrte des sephardischen Judentums und meistgelesene jüdische Autor im Christentum“ hatte zuvor im Dienste der Könige in Spanien und Portugal gestanden.

Dass Königen nicht zu trauen ist, steht schon in der Bibel. Tatsächlich befanden sich die Juden in der Diaspora in einer ambivalenten Situation, von der kirchlichen Macht verachtet, waren die weltlichen Herrscher ihre Ansprechpartner in Fragen Bleiberecht und Lebensbedingungen. Doch die Schutzpatronage konnte auch plötzlich in Bedrohung umkippen, nicht selten waren Juden ein „Pfand zu töten“ in der Geschichte, wie Vieh, das erst gemästet und dann geschlachtet wird.

So floh auch Isaak Abravanel vor seiner Hinrichtung nach Venedig. Hier fand er ein anderes Gesellschaftsmodell, das in einer Mischform aus Monarchie und Oligarchie die politische Verantwortung und die Verwaltung auf ein Ratswesen übertrug, in dem sich einerseits Adel und Bürgertum gegenseitig kontrollierten, das anderseits Mehrheitsbeschlüsse forderte. Isaak Abravanel sah in dieser modernen Regierungsform die Realisierung eines biblischen Modells, das statt der Herrschaft von Moses als Vertreter Gottes einen Rat über das Volk setzt. Seine Interpretation konnte auch als Selbstempfehlung gelesen werden, da den Juden das Regierungsmodell aus der Bibel vertraut war, eigneten sie sich als Bürger der Republik Venedig.

Hundert Jahre nach Abravanel verfasste der Rabbiner Simone Luzzatto eine „Rede über die Juden in Venedig“. Darin legte er die besonderen Leistungen der Juden für Venedig dar. Entschieden sprach er sich dafür aus, dass Juden ihre eigene Tradition bewahrten und dafür geachtet werden sollten, sei sie doch ein „authentisches Bruchstück“ antiker Kultur. Dass ließe sich durchaus, so Veltri, auch als Beitrag zu gegenwärtigen Debatten über die Integration von Minderheiten in unsere Demokratie lesen. Lene Zade

Heute: Hebrew Poetry from al-Andalus to the Maghrib, Dr. Esperanza Alfonso, 15 Uhr, Neues Palais, Haus 11, Raum 203.

Lene Zade

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