Landeshauptstadt: Im Glaslandauer durch die Alexandrowka
Welterbestättentag zwischen Russischer Kolonie und dem Belvedere Pfingstberg
Stand:
Heinz Jablokoff saß an einem der großen Tische vor der Russischen Teestube und ließ sich zwar keinen aus Äpfeln der Alexandrowka gewonnenen Most, aber einen Becher Schlehenwein schmecken. Mit seiner Ehefrau Ingrid versäumt er kaum eine Veranstaltung in der Russischen Kolonie und war auch Pfingstsonntag beim erstmals begangenen Welterbestättentag dabei. Sein Vorfahr zählte zu jenen zwölf Sängersoldaten, die 1827 hier eine Kolonistenstelle erhielten.
Mit der Baubeigeordneten Elke von Kuick-Frenz und Sanssoucis Gartendirektor Dr. Michael Rohde, die die Gäste begrüßten, freute sich der jetzt bei Bernau wohnende Jablokoff (in dessen Namen das russische Wort Jabloko = Apfel steckt) über den großen Andrang. Das Haus seiner Ahnen, die Nr. 13, konnte er freilich nicht mehr vorzeigen: Es wurde den Jablokoffs 1943 weggenommen, da der Erstgeborene keinen männlichen Erben hinterließ. In diesem Fall fiel das Haus an den Staat zurück.
Für Jablokoff sprangen Anne und Lutz Andres in die Bresche, die vor acht Jahren die benachbarte Nr. 12 gekauft und ihr Schritt für Schritt auch im Inneren das ursprüngliche Aussehen zurückgegeben haben. Nun haben sie diese Riesenaufgabe fast bewältigt. Zum wiederholten Mal öffnete das Künstlerehepaar sein Haus dem Publikum – mit der in kräftigem Rot gehaltenen Küche, in dem noch eine Anrichte aus der Erbauungszeit steht, dem rosa gestrichenen Wohnzimmer und der kobaltblauen Kinderstube. Dort konnte der Erstbesitzer Iwan Timofejew ebenfalls keinen Sohn in die Wiege legen, und so verlor die Witwe schon 1848 das Haus. Wie üblich wurde es vermietet und sogar geteilt, um zwei Parteien unterzubringen. Aus dieser Zeit stammt auch die Außentreppe als Zu- und Abgang für den zusätzlichen Mieter.
Nach diesem Blick ins Innenleben eines Kolonistenhauses, den kaum jemand versäumte, konnten sich die Besucher im Außengelände an Ständen und bei Führungen über Bemühungen zur Bewahrung des Welterbes informieren. Am Stand des Fördervereins zum Wiederaufbau der Garnisonkirche sah man den Architekten Christian Wendland im Gespräch mit Franz Friedrich Prinz von Preußen, einem Nachfahren des Koloniegründers König Friedrich Wilhelm III. Einen besonderen Farbtupfer setzte die Botschaft Ecuadors, die ihre beiden durch prachtvolle Kolonialarchitektur geprägten Welterbestädte Quito und Cuenca vorstellte. Der Garten des Alexandrowka-Museums bot ein Kinderprogramm. Über die Anstrengungen der Dortu-Schule, ihren kostbaren Rokokosaal zu restaurieren, unterrichtete Schulleiterin Gudrun Wurzler. Für das Helmholtz-Gymnasium erläuterte Schülerin Theresa Schmidt Entwürfe für ein Kinderbuch, das die 11. Klassen zum Belvedere auf dem Pfingstberg gestalten.
Bis zum Fuß des Pfingstberges konnten die Besucher übrigens einen wunderschönen „Glaslandauer“ (in Wien Fiaker genannt) nutzen, den die Reit- und Fahrtouristik Kohlschmidt auf Bitten des von Frank Duif geleiteten Alexandrowka-Vereins zur Verfügung gestellt hatte. Oben am Belvedere bestiegen Hunderte die Aussichtstürme oder nahmen an Führungen teil. Eine Bigband sorgte für Stimmung. Wie der Himmel hellten sich die Mienen der 40 Mitglieder des Fördervereins auf, die bei der Veranstaltung eingesetzt waren. Sie hatten zuvor am Freitag und Sonnabend schon das traditionelle Pfingstbergfest organisiert, und das war bei scheußlichem Wetter für nur wenige Standhafte zum „Spaß unterm Regenschirm“ geworden.
Am Ende des Welterbestättentags konnte Dr. Sigrid Sommer, Marketingchefin der Stadtverwaltung, ein rundum positives Fazit ziehen. Auch zu essen und zu trinken gab es reichlich, Renner war der vom Lokal „Am Pfingstberg“ angebotene Saumagen. Leider lag die „Fressmeile“ dicht an der Bühne, was den von der Klassik geprägten Darbietungen vorwiegend junger slawischer Künstler nicht gut tat. Als Moderator und Begleiter blieb dem Publikum der angekündigte Napoleon erspart. Der Glindower Karnevalist Ronald Gasser trat vielmehr im Kostüm des Zaren Alexander I. auf, des Namensgebers der Russischen Kolonie.
Erhart Hohenstein
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: