Von Erhart Hohenstein: Im Goldenen Käfig zu Golm
Über 11 000 Besucher feierten auf dem Universität-Campus die Lange Nacht der Wissenschaften
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Golm - Im „Haus der Medien“ drängten sich junge Leute um die Computer. Hierher hatte auf den Unicampus Golm in der Langen Nacht der Wissenschaften das 2008 gegründete, deutschlandweit einmalige Forschungszentrum „digarec“ für Computerspiele eingeladen. Mit mehr als 3000 Titeln betreibt es die größte Sammlung solcher Spiele an einer Hochschule. Natürlich nicht zum Spaß, sondern um in Forschungsprojekten beispielsweise den Wirkungen der Spiele auf die Spieler nachzugehen. Immerhin beruhigend: Bis auf Ausnahmen beeinträchtigen selbst lang andauernde Ausflüge in die digitale Welt nicht das rationelle Handeln in der realen Welt.
Über 11 000 Interessenten waren am Sonnabend auf den Unicampus Golm gekommen, der sich erstmals der Wissenschaftsnacht öffnete. In Führungen mit Volker Pohl, einst Bauchef der Alma Mater, konnten sie sich einen Überblick über das Gelände verschaffen. Es war von der Staatssicherheit, die hier die Juristische Hochschule zur Ausbildung ihrer Spitzenkräfte betrieb, am 1. März 1990 übernommen worden.
Nicht weniger als 150 Millionen Euro sind auf dem Campus seitdem für Sanierung und Neubau von Gebäuden sowie deren Ausstattung ausgegeben worden. Für Chemie, Biochemie, Geowissenschaften entstanden riesige Häuser, als letztes kam 2008 der ob seines Aussehens „Goldener Käfig“ genannte Bau für das Physikstudium hinzu. Damit sind in Golm nun die naturwissenschaftlichen Fakultäten konzentriert, dazu fanden hier unter anderem die Psychologie und die Lehrerbildung ihren Platz. Die guten Bedingungen haben sich bei der akademischen Jugend herumgesprochen: Eigentlich wollte Potsdam eine kleine Universität behalten, doch jetzt schon werden 20 000 Studenten gezählt, und die Prognose, wegen des Geburtenknicks würden es bald weniger, trifft und trifft nicht ein. Schattenseiten dessen sind überfüllte Vorlesungen und Seminare, deshalb soll gestreikt werden. In der Langen Nacht kündigten dies die Studenten für Biologie, Chemie und Ernährungswissenschaften an, um einen sicheren Zugang zum Masterstudium zu erzwingen.
Indes bekamen im Goldenen Käfig der Physik die Besucher demonstriert, dass auch Tassen und Töpfe Radioaktivität aussenden, wie Flugzeuge mit 500 Tonen Masse überhaupt abheben können und ob es auf dem geheimnisvollen Saturn-Mond Enceladus Wasser gibt.
Bei den Geowissenschaften konnte der Interessent eine fiktive Reise von Potsdams Oberfläche in 120 Kilometer Tiefe unternehmen und die Gesteinsschichten kennenlernen, auf denen die Stadt steht. Die Biochemiker und Biologen führten „Laser als Zollstock“ für Messungen in der Mikrowelt vor. Die Kognitionswissenschaftler arbeiten zum Schrecken aller Rezensenten an einem Projekt, das Filmkritiken automatisch zusammenfassen soll. „Tutta quella musika – italienische Architektur in Potsdam“ hieß ein Programm der Romanisten.
Schön, dass den Golmer Naturwissenschaftlern auch ihre Kollegen und Kommilitonen der am Neuen Palais untergebrachten Geisteswissenschaften und der Rechtswissenschaften aus Griebnitzsee zu Hilfe kamen. So stellten die Mediävisten (Mittelalterforscher) ihr Forschungsprojekt zum im Jahre 1569 handgeschriebenen Gebetbuch des Brandenburger Johanniteroberen Graf Martin von Hohenstein vor. Wie sehr sich durch Wein, Gelage und schöne Künste ein altrömisches Symposium von heute so bezeichneten Veranstaltungen unterschied, wurde im Haus der Muse vorgeführt. Auf der großen Bühne musizierten Suse Jank und Band - „DDR-Rockmusik zwischen Anpassung und Aufbegehren“. Selbst was Luther vom Islam hielt, war Thema eines Vortrags.
125 teils mehrfach wiederholte Lesungen, Vorträge, Demonstrationen, Workshops wurden geboten. Doch wer konnte sie alle wahrnehmen? Zumal die Wegweisung auf dem Gelände nicht die Beste war. Richtig kritikwürdig war aber die Regelung der Anfahrt. Auf den Havelbuslinien 605 und 606 zum Universitätsgelände Golm wurde der kleinste vorhandene Bustyp eingesetzt, der vom Potsdamer Hauptbahnhof eingerichtete Shuttle schaffte ein paar Berliner heran, blieb aber für die Potsdamer ohne Wert.
Erhart Hohenstein
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