Landeshauptstadt: Im Kreuzverhör
Spurensuche nach dem Suizid-Drama: Wäre der Selbstmord von Beate J. zu verhindern gewesen?
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Die Gesichter sind versteinert. Fotoapparate klicken, die Filmaufnahmen laufen später in den Abendnachrichten. Drängende Fragen von mehr als einem Dutzend Journalisten sind zu vernehmen, denen sich die Spitzen von Stadtverwaltung, Polizei und der Psychiatrie des Klinikums am gestrigen frühen Nachmittag stellen müssen. „Da müssen doch sämtliche Alarmglocken läuten, wenn eine Mutter mit ihrem Kind in einem Hochhaus aufgefunden wird, nachdem sie gerade ihren Selbstmord per SMS angekündigt hat“, fragt ein Journalist anklagend.
Die Antworten sorgen manches Mal für ungläubige Blicke, die besonders die Potsdamer Polizei betreffen. Matthias Tänzer als leitender Beamter vertritt die Polizisten an diesem Tag. Viel muss er erklären: Warum war es einer großen Boulevardzeitung möglich den Hocker zu fotografieren, mit dem es Beate J. gelang, am Montag morgen gegen 8 Uhr zusammen mit ihrer dreijährigen Tochter Luisa-Melissa in die Tiefe zu springen? Tänzer spricht davon, dieser Vorgang sei „intern noch zu bewerten“. Dann spricht er von einem „Versäumnis“ – die Polizisten hätten den Hocker offenbar nicht für die weiteren Ermittlungen gebraucht.
Dass das Drama ein geplanter Suizid war, ist denn auch zunächst einer der wenigen klaren Punkte. Viele Fragen konzentrieren sich auf Tänzer: Warum meldete die Polizei nicht ans Jugendamt, dass Beate J. und ihre Tochter schon im August vergangenen Jahres in jenem Hochhaus am Schilfhof gefunden worden – aus dessen 14. Stock sie nun in die Tiefe stürzten? Das Wort „Selbstmordversuch“ möchte Tänzer in diesem Zusammenhang nicht hören: Es habe damals „nur die Absicht“ der Mutter zum Suizid vorgelegen – und diese sei schon nicht mehr akut gewesen, als die Beamten sie per Handy-Ortung in dem Haus gefunden hätten. Die Mutter sei sogar schon im Hausflur angetroffen worden. Warum die Polizei damals aber in einer Meldung schrieb, Mutter und Tochter seien „von der Balkonbrüstung“ des Hauses geholt worden? Das wisse er nicht, sagt Tänzer – er habe sich aber bei den damals eingesetzten Polizisten über die Flur-Version rückversichert.
Auch ganz praktische Fragen werden gestellt: Warum lassen sich eigentlich die Türen zu den gemeinschaftlich genutzten Balkonen in Hochhäusern wie am Schilfhof so einfach öffnen? Anwohner am Schlaatz hatten den PNN berichtet, von den zwei hoch ragenden Häusern hätten sich in den vergangen Jahren auch andere Menschen in den Tod gestürzt. „Die Balkone gehören zu den Rettungswegen“, sagte Tänzer. Deswegen könnten diese nicht abgeschlossen werden.
Auch Oberbürgermeister Jann Jakobs und Jugendamtschef Norbert Schweers müssen Fragen beantworten: Wann war das Jugendamt informiert? Wie kam es zu der Einschätzung einer Mitarbeiterin des Amtes, dass keine Gefährdung für das Kind von Beate J. bestand? Jakobs und Schweers begründen dies mit drei wesentlichen Faktoren: Einmal seien die Eltern beide voll berufstätig gewesen. Zudem habe die Familiensituation trotz der psychischen Erkrankung von Beate J. als „stabil“ gegolten – auch weil die Potsdamerin sich zuletzt noch freiwillig ambulant behandeln lassen habe. Niemand wusste offenbar, dass ihr Mann offenbar schon längere Zeit unter der Woche nicht in Potsdam arbeitete. „Sie hat die Kinder öfter in die Kita gebracht“, sagt Schweers. Die regelmäßigen Kita-Besuche von Luisa-Melissa seien der dritte Faktor, warum das Amt nicht eingegriffen habe. Ein Staat könne aus guten Gründen nicht einfach so Eltern ein Kind wegnehmen – dies wäre ein zu massiver Eingriff, so Jakobs: „Ich bedaure es außerordentlich, dass wir Frau J. nicht von dem Suizid abbringen konnten.“ Doch geht dies überhaupt, will eine Journalistin wissen. Ihr antwortet Christian Kieser, Psychiatrie-Chef des Klinikums: „Laut der Forschung gibt es Grenzen, so einen Entschluss zu beeinflussen.“
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