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Von Lene Zade: Im kurzen Sommer des Aufbruchs

Projektgruppe der FH legt zusammen mit Argus eine DVD zum Herbst 1989 vor

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Es war ein freundlicher Sommertag. Die Sonne schien, es war warm und die Wiese lud zum Sitzen ein. Und zum Feiern. Viele waren gekommen, damals zum ersten Pfingstbergfest am 10. Juni 1989 mit dem so harmlosen Titel „Kultur in der Natur“. Das klang zwar nicht ganz so großartig wie Woodstock, das die Anwesenden sowieso nur als Mythos kannten, und auch nicht wie Weißensee, wo in der kleinen DDR hin und wieder große Weststars wie Bruce Springsteen auftraten. Aber es hatte einen ganz besonderen Charme, weil hier keine FDJ einlud und kein Kulturministerium, sondern ein Verein, gegründet von Leuten, die sich um Umweltschutz und den Erhalt der Städte sorgten. Das war irgendwie auch politisch. Nur anders. Anders als es die meisten gewöhnt waren aus Schule und Zeitung.

Vor einem Jahr erinnerte eine von FH-Studierenden organisierte Ausstellung an das „erste selbst organisierte Festival“ in der Potsdamer Kulturlandschaft, an die Initiatoren der Arbeitsgemeinschaft für Umweltschutz und Stadtgestaltung, kurz Argus, und an die Ereignisse im Herbst 1989. Nun, ein Jahr später, erstellte eine neue Projektgruppe in Kooperation mit Argus aus dem gesammelten Material eine DVD, die als begleitendes Lehrmaterial die jüngste Lokalgeschichte in Schulen vermitteln soll und am Dienstagabend im Stadtzentrum präsentiert wurde. Gefeiert wurde in einem der Gebäude, die dem Rückbau des Stadtkerns in einen Vor-DDR-Zustand weichen werden – dem FH-Gebäude am Alten Markt.

Die Kritik am sozialistischen Städtebau, der eine zum Teil verheerende Verwahrlosung von Altbausubstanz zeitigte, war die Initiation für die Gründung von Argus. Das dokumentiert die DVD in Zeitzeugeninterviews, Fernsehberichten, Fotos und schriftlichen Zeugnissen genauso wie die Proteste gegen Wahlfälschungen, die konkreten Initiativen gegen brennende Mülltonnen und die Demonstrationen vom Oktober und November.

Ein Stadtplan aus Vorwendezeiten dient als Navigationsoberfläche, auf der fünf Buttons zu den inhaltlichen Schwerpunkten führen. Die klare Gliederung ist ansprechend, wohingegen die Aufarbeitung der Quellen nicht immer überzeugt. Es fehlt die Erwähnung anderer oppositioneller Gruppen aus den Bereichen Musik und Bildender Kunst und, wenn schon der Schwerpunkt auf dem Widerstand gegen den verfehlten Städtebau liegt, dann hätte auch die Bewegung des „Schwarz-Wohnens“ eine Würdigung verdient. Ohne diese Hausbesetzer des Sozialismus, die unerlaubt in marode Häuser zogen und sich zwischen Hausschimmel und qualmenden Öfen ein bisschen Freiraum schufen, wäre etwa das Holländerviertel noch viel massiver und schneller verfallen.

Unbefriedigend ist auch das grundsätzlich zu lobende Glossar, das nicht nur Begriffserklärungen bietet, sondern auch über die Lebensläufe wichtiger Protagonisten aufklärt. Doch warum enden einige Biografie abrupt 1989, andere nicht? Einige fehlen ganz. Hier hätte der Blick eines Historikers sicher korrigierend einwirken können.Dennoch bietet die DVD einen spannenden Einblick in eine Zeit, in der die Dokumentierenden gerade erst geboren wurden. Die Studierenden der Projektgruppe von „Macht Besser!“ dürften heute so alt sein, wie es im Durchschnitt die Besucher damals auf dem Pfingstberg vor 21 Jahren waren.

In diesem kurzen Sommer des Aufbruchs schlossen sich die verschiedensten informellen Kreise kurz und ließen eine Bürgerbewegtheit erahnen, die öffentlich vorher nicht wahrgenommen wurde. Neben dem maroden Bellevue saßen Punks an der Seite von Handtaschenträgerinnen, redeten Langbärtige von hausgemachten Umweltkatastrophen und tobten Kinder herum. 3000 sollen es bis spät in die Nacht gewesen sein. Und alle hatten sie keine Angst mehr vor dem Schreckgespenst Stasi. Wenige Monate später trauten sich auch die verzagtesten Potsdamer auf die Straße und demonstrierten für politische Veränderungen.

Lene Zade

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