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Geheimnis des Erzählens. Die Dramaturgie muss stimmen. Hier der Thriller „Red Lights“, der gerade in den Kinos läuft.

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Das Internet verändert die Sehgewohnheiten der Kinozuschauer. Ersetzen kann es Kino aber nicht

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„Einen Sherry?“ fragt die Ministerin die drei Frauen, die ordentlich aufgereiht auf dem Sofa bei ihr im Büro sitzen. „Hätten sie auch einen Whiskey?“ stellt die hochtoupierte Brünette die Gegenfrage. Auf die Details komme es an, erklärt Kerstin Stutterheim die Szene aus dem Film „We want sex“. Darin geht es um gleichen Lohn für gleiche Arbeit von Näherinnen, auch wenn der Titel etwas anderes nahelegt. Nach dem gewonnenen Kampf um Gleichberechtigung im Jahr 1968 ist Whiskey, wie ihn Männer trinken, angebracht, nicht der süße Sherry.

Wie das Kino seine Geschichten erzählt und wie die Bilder den Zuschauer in seinen Bann ziehen, untersucht und unterrichtet Kerstin Stutterheim an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf (HFF). Die Dramaturgie befasse sich mit dem Geheimnis des Erzählens, erläutert Stutterheim bei einem Vortrag in der Reihe „Potsdamer Köpfe“. Der Regisseur verwebe die verschiedenen Ebenen eines Filmes, damit der Zuschauer im Dunkel des Kinosaales Zeit und Ort vergesse und vollständig in die Geschichte hineingezogen werde. Dabei gebe es aber durchaus Regeln, die Filmemacher und Geschichtenerzähler schon seit Tausenden von Jahren beachten würden. „Die Filmhandlung entspricht letztlich der Lebenszeit und der Erfahrung unserer eigenen Endlichkeit“. Schon Aristoteles habe darüber nachgedacht, wie eine gute Geschichte erzählt werden müsse. Die von dem Philosophen vor mehr als 2000 Jahren entwickelte Struktur werde noch heute in etlichen Drehbuchseminaren gelehrt. Die Handlungskurve folge dabei einem Muster, bei dem sich zu einem ziemlich genau festgelegten Zeitpunkt dramatische Wendungen ergeben würden. „Haargenau in der Mitte des Films ,Shining’ von Kubrick steht die Ballszene, in der plötzlich ein Kellner wie Mephistopheles auftaucht und Jack Nicholson verrückt wird“, beschreibt sie die punktgenaue Dramaturgie des Filmklassikers. Schon Immanuel Kant habe gewusst, dass es bei einer spannenden Erzählung darum gehe, „Körperflüssigkeiten in Wallung zu bringen“. Das gelte im Grunde auch noch heute, meint Stutterheim. Das gelinge aber nur, wenn ein Film sorgfältig durchkomponiert sei. Zwar hätte die Filmtechnik enorme Fortschritte gemacht, dennoch würden sich auch heute noch Zuschauer Geschichten wünschen, die sie aus ihrem Alltag forttragen.

Fraglich ist allerdings, ob sie diese Geschichten auch im Kino anschauen wollen. In den vergangen fünf Jahren ist die Zahl der Spielstätten in Deutschland kontinuierlich von 1823 im Jahre 2006 auf 1671 im Jahre 2011 gesunken. Die Besucherzahlen schwanken zwischen 125 und 146 Millionen. Dennoch vermutet Stutterheim, dass Internetforen wie Youtube oder Vimeo keine wirkliche Konkurrenz für das Kino sind: „Die Leute wollen verzaubert werden und sind bereit, sich im Kino auf lange, gut erzählte Geschichten einzulassen“. Kurze Videoclips im Internet könnten nicht leisten, was ein Kinosaal biete. Der Klang der Pfeile, die beim „Herr der Ringe“ dank des Tonsystems durch den Kinosaal rauschen würden, obwohl man sie nicht sähe, sei auf dem Tablett PC oder vor dem Fernseher nicht zu imitieren.

Dennoch würde die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Clips und selbst gebastelten Filmchen die Sehgewohnheiten verändern. Filmschnitte würden schneller, Filme actiongeladener. Die Erzählung zerfalle stärker in ihre Einzelteile. Das würde dem Lebensgefühl des modernen Menschen entsprechen, der in seinem Alltag ebenfalls mit vielen verschiedenen Rollen konfrontiert sei. Die Filmindustrie reagiere auf die Internetwelt, indem sie Videospiele verfilme. DVD und Video würden die Sehgewohnheiten aber auch positiv ändern: „Filme können länger und facettenreicher werden. Zuschauer sind bereit, einen Film mehrmals zu schauen, wenn sie darin immer wieder etwas Neues entdecken.“ Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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