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Osterschmaus. Das Sternerestaurant Kochzimmer bietet feine Küche im Beutel an.

© Carsten Holm

Coronakrise bedroht Gastronomie in Potsdam: Im Würgegriff des Virus

Die Potsdamer Gastronomen stehen wegen der Coronakrise im Überlebenskampf. Dessen Regeln können sie kaum beeinflussen. Bei einigen gibt es jedoch Zeichen der Hoffnung.

Von Carsten Holm

Potsdam - Vier Wochen ohne Gäste, glauben die meisten, können sie durchstehen. Danach droht der Absturz ins Bodenlose. Es ist Freitag, der 20. März, als Mario Kade, Inhaber des Restaurants „Am Pfingstberg“, mit seiner Familie am Abendbrottisch sitzt. Gerade ist bekannt geworden, dass er wegen der Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus nur noch 30 seiner 110 Plätze vergeben darf. Und es ist klar, dass der sogenannte Shutdown, die Schließung aller gastronomischen Betriebe auf unbestimmte Zeit, unmittelbar bevorsteht. Kade ist dem Zusammenbruch nahe.

Der 49 Jahre alte Mann hat es weit gebracht in seinem Leben. Er hat das „Kade“ aufgebaut, „wir waren nach der Wende die erste Neugründung hier“, erzählt er stolz. Rund 70 Meter über der Stadt, nahe des von Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. erbauten Belvedere, ist das beliebte Ausflugslokal zu einer Institution geworden. Er hat es verstanden zu wirtschaften und ein gutes Auskommen. Aber plötzlich sieht er, „von einem Tag zum anderen, ohne eigenes Verschulden mein Lebenswerk bedroht“.

„Es brach einfach aus mir heraus“, erzählt er den PNN, „ich habe laut und innig geweint. Mein bald dreijähriger Sohn Friedrich Mo sah mich an und fragte: Papa, warum weinst du? Und ich konnte ihm die Unfassbarkeit der Situation nicht erklären. Mit einem Ruck war die gewohnte Bodenhaftung verschwunden.“ Am Donnerstag brach Kade ein zweites Mal in Tränen aus. Er hatte seine Gäste über die sozialen Medien darauf hingewiesen, dass sie nun Gutscheine kaufen könnten für die Zeit nach Corona: „Das war pure Hilflosigkeit. Ich habe es nicht ausgehalten, dass ich auf einmal Bittsteller geworden bin, ohne dafür zu können.“

Existenzangst in der Branche

Der Chef vom Pfingstberg ist nicht der einzige Potsdamer Gastronom, der offenlegt, wie, trotz aller staatlichen Zuschüsse und Kreditgarantien, die Existenzangst umgeht in der Branche. Einer der renommiertesten Restaurantbetreiber, der ungenannt bleiben möchte, schildert einen furchtbaren Moment der März-Tage: „Ich habe durch die Fenster gesehen und gedacht: Nun schwimmt alles weg.“

Die Restaurants und auch die Hotels sind in einen Überlebenskampf gerissen worden, und sie wissen nicht, ob sie ihn gewinnen können. Das Virus hat sie in den Würgegriff genommen, es ist unklar, wann der gelockert wird.

Etliche Küchenchefs wollen nicht ausharren, bis klar ist, wann die Ausgehverbote gelockert werden, wann zumindest ein Teil der Plätze mit großem Sicherheitsabstand wieder geöffnet werden kann. Sie bieten einen Außer-Haus-Verkauf an, eine Art Corona-Take-away. Als die PNN fragen, ob sich das Geschäft lohne, ist die Antwort fast einhellig: Nein. Aber es kann ein kleiner Beitrag zu den fortlaufenden Kosten für die Miete und die Energieversorgung erwirtschaftet werden. Auch Mario Kade macht mit. Auf den Pfingstberg kommen täglich rund 30 Kunden, und von ihm gibt es „zum normalen Futter auch Seelenfutter“. Er legt Texte bei, die Mut machen sollen, etwa von Nelly Sachs: „Alles beginnt mit der Sehnsucht“, heißt es da.

Ohne Zuschüsse nicht überlebensfähig

Das ist wohl wahr. Die meisten Gastwirte haben Sehnsucht – nach besserem Umsatz und, endlich mal wieder, nach Gästen im Restaurant. Das Old Town Hanoi an der Friedrich-Ebert-Straße verkauft in diesen Tagen zwischen 20 und 30 Portionen außer Haus. Sie freue sich über die Stammkunden, „die uns treu bleiben“, sagt Inhaberin Anh Nguyen, „aber trotz der Zuschüsse können wir so nicht längere Zeit überleben.“

Nebenan, bei Bagels & Coffee, will Inhaberin Heike Zabel „um mein Unternehmen kämpfen“. Sie verkauft ihre beliebten, handbelegten Bagels. „Ich weiß nicht, ob ich überleben werde“, sagt Zabel. Manches macht ihr in der Krise zusätzlich Mühe. In Berlin würden die beantragten Zuschüsse, wie sie erfahren habe, mitunter schon am Tag nach der Antragstellung ausbezahlt. Sie habe den Antrag am Donnerstag voriger Woche in Potsdam gestellt „und eine Woche später noch nichts bekommen“. Unverständnis zeigt Zabel auch über das Gebaren ihres Vermieters: „Der weiß doch, dass wir nicht kostendeckend arbeiten können, lässt aber über die Miete nicht mit sich reden“.

Rund 1000 Pizzen weniger am Tag

Ein paar hundert Meter weiter in der Friedrich-Ebert-Straße, in der Pizzeria Melody, ist die Lage nicht besser. Emrah Özbay sitzt hinter der Eingangstür und wartet auf Gäste. Bis Anfang März liefen die Geschäfte vorzüglich, im Steinofen buken täglich 1000 bis 1200 Pizzen. Jetzt verkauft er zwischen 150 und 200, sechs Mitarbeiter hat er in Kurzarbeit schicken müssen. Er berichtet von 9000 Euro Monatsmiete, die er für das Restaurant mit 50 Plätzen zahlen muss, der Vermieter sei nicht bereit, ihm entgegenzukommen. „Es wird, wenn ich es überlebe, mindestens ein Jahr dauern, bis ich da herauskomme“, sagt Özbay.

Flaute. In der Pizzeria Melody wird viel weniger verkauft.
Flaute. In der Pizzeria Melody wird viel weniger verkauft.

© Carsten Holm

Im kroatischen Restaurant Adriatico in der Dortustraße werden laut Frano Skaro, einem der beiden Chefs, täglich nur 20 bis 30 Portionen verkauft. Auch beim Italiener Piazza Toscana am Hiroshima-Nagasaki-Platz ist der Umsatz mit 70 Portionen täglich bei weitem nicht kostendeckend. Als die PNN anrufen, holt gerade eine ältere Potsdamerin für sich und ihren Mann ein Rumpsteak vom Lavagrill und eine Pizza mit Parmaschinken ab. „Sie wollte mal ´raus aus der Wohnung und sich etwas gönnen“, sagt Inhaber Giorgio Cuccia, „wir stehen hier als Dank an die Gäste, die seit elf Jahren bei uns essen, wir haben schließlich gut von ihnen leben können“. Der Vermieter, erzählt er, habe sich darauf eingelassen, bis zum Sommer ein Viertel der monatlichen Warmmiete von 6500 Euro zu stunden. „Das wird dann aber eine große Last“.

Prosecco für wartende Gäste

Chris Zanotto, Chef vom „Zanotto“ in der Dortustraße, wird von manchen als der beste italienische Koch der Stadt bewertet. Er sagt, er könne von drei Euro am Tag leben, und so ist er nicht unzufrieden, wenn er in der Woche nur 70 Kuverts außer Haus verkauft. „Es geht nicht um Umsatz, es geht um Solidarität und letztlich um den Sinn des Lebens“, erklärt er. Er will seinen gehobenen Stil auch jetzt nicht aufgeben. Wartenden reicht er ein Glas Prosecco „aufs Haus“. Seine Speisen drapiert Zanotto nicht in Plastik-oder Pappboxen, sondern auf Porzellantellern in Körben. Ein solcher Korb und die Teller, sagt der Chef, hätten einen Wert von 120 Euro: „Alle außer einem Australier, der hier in der Nähe wohnt, haben das alles zurückgebracht“.

160 Mitarbeiter in Kurzarbeit

Erwischt hat es auch die Großen der Branche. Am Nauener Tor, direkt vor seinen geschlossenen Restaurants Heider, Redo XXL und Sombredo, steht seit Mittwoch der Potsdamer Groß-Gastronom René Dost aufrechten Haupts in einem Foodtruck. Er hatte 1991 mit einem kleinen Imbisswagen begonnen, nach und nach eröffnete er Lokale in Potsdam, Berlin, Wildau, Frankfurt/Oder und Cottbus. Allein am Nauener Tor zahlte er monatlich 30 000 Euro Miete. Schwarz gekleidet in seinem Young fashion style, wie man ihn kennt, steht er nun mit 21 Armringen und zwei Uhren am Herd des Foodtrucks und brät frisch panierte Schnitzel. Er freut sich darüber, dass er schon am ersten Tag 150 Schnitzel verkauft, das Stück für drei Euro. Dost hat bei seinen Vermietern für alle Restaurants eine Stundung erwirkt und die 160 Mitarbeiter, die fast alle in Vollzeit arbeiteten, in Kurzarbeit geschickt.

Küchenschluss. Potsdamer Gastronomen werden durch die Schließung der Gaststätten vor eine noch nie dagewesene Herausforderung gestellt. Mario Kade fürchtet in seinem leeren Restaurant auf dem Potsdamer Pfingstberg um sein Lebenswerk.
Küchenschluss. Potsdamer Gastronomen werden durch die Schließung der Gaststätten vor eine noch nie dagewesene Herausforderung gestellt. Mario Kade fürchtet in seinem leeren Restaurant auf dem Potsdamer Pfingstberg um sein Lebenswerk.

© Andreas Klaer

Die Lage sei schwierig, sagt Dost, „wir verlieren jeden Tag 25 000 Euro“. Dennoch habe er keine Existenzangst, „wir werden da ´rauskommen, mit der Hilfe unserer Hausbanken“. Über die Berliner und die Mittelbrandenburgische Sparkasse sowie die Berliner Volksbank könne er „nur ein Loblied singen“. Sie hätten zu ihm gehalten, „weil sie ja seit längerer Zeit sehen, dass wir vernünftig wirtschaften“. Aber er wisse, „dass Gastronomen, die nicht ordentlich gearbeitet haben, jetzt in ganz anderen Schwierigkeiten sind“.

Hunderte Bestellungen am Tag

Einige wenige müssen auch jetzt kein Trübsal blasen. Ngo Phu, Chef des vietnamesischen Restaurants My Keng in der Brandenburger Straße, hat zwar das Partnerrestaurant Chi Keng am Luisenplatz wegen Corona geschlossen. Er gehört zu den Ausnahmen: Im My Keng können Kunden aus der kompletten Vor-Krisen-Karte bestellen. „Wir verkaufen täglich 300 bis 400 Portionen“, so Phu zu den PNN, „am besten gehen die Reisgerichte“. Das My Keng mache zwar nur 60 Prozent des früheren Umsatzes – wegen der fehlenden Getränkebestellungen. „Aber wir können unsere Kosten decken“, sagt Phu, „wir werden überleben“.

Auch das Hafthorn, die urige Kneipe an der Friedrich-Ebert-Straße, lebt munter weiter. Kunden können von 12 bis 22 Uhr Vorbestelltes abholen und es sich zwischen 18 und 22 Uhr auch nach Hause liefern lassen. „Seit dem vergangenen Wochenende schießt die Nachfrage durch die Decke“, sagt Geschäftsführer Jörn Rohde, „wir waren völlig überrascht davon, wir erreichen rund 70 Prozent unseres normalen Umsatzes. Ich kann alle sieben festangestellten Mitarbeiter weiterbeschäftigen“. Die meisten Kunden bestellen Burger. Tag für Tag fast 100.

Frische Luft. René Dost brät im Foodtruck vor dem Nauener Tor Schnitzel.
Frische Luft. René Dost brät im Foodtruck vor dem Nauener Tor Schnitzel.

© Carsten Holm

Zumindest über Ostern müssen die Potsdamer auch auf die Hochküche nicht verzichten. Das Restaurant Kochzimmer, das kürzlich seinen Michelin-Stern verteidigt hat, bietet eine Spargel-Menubox für zwei Personen an, die am 17. April abgeholt werden kann oder geliefert wird. Sie enthält eine Spargelmousse und einen Salat mit Bärlauch und Zitrone, weißen Spargel confiert mit Keulenragout vom Schwarzfederhuhn. Dann als Dessert einen königlichen Gugelhupf von Sternekoch David Schubert, dazu eine Schnapsflasche als Überraschung und eine Flasche Pinot Gris aus dem Elsass. 60 Euro kostet die Osterfreude für zwei Personen – Inhaber Jörg Frankenhäuser liefert selbst aus.

Es gibt auch ein Abonnement im April. Für 240 Euro liefert das Kochzimmer für zwei Personen die Oster-Menü-Box, die Spargel-Box und die Frühlings-Box. Die Zutaten sind vakuumiert, die Kunden müssen alle Beutel, etwa von der Hummerbisque über die Lammkeule mit feinster Sauce, mit Selleriepüree, Rotweinperlzwiebeln, Mangokompott mit dunkler Schokolade, gelbem Muskateller und einem Digestiv nur in heißes Wasser legen. Den Boxen liegt eine verständliche, detaillierte Anleitung bei. „So werden unsere Gäste ein Teil des Koch-Zimmer-Teams“, sagt Frankenhäuser.

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