zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Im Zweifel für die Angeklagten ?

Verurteilung im „Ermyas-Prozess“ fraglich: Es könnte unklar bleiben, wer den Farbigen fast totschlug

Stand:

Er schreibt emsig mit und schweigt. Ermyas M. scheint den Prozess gegen die beiden Männer, mit denen er vor knapp einem Jahr in einen beinahe tödlichen Streit geraten sein soll, in sich aufzusaugen. Aber er lässt seine Emotionen nicht raus, zumindest nicht öffentlich. Spricht ihn ein Journalist an, winkt der Deutsch-Äthiopier ab. Wie er den Gefühlsstau aushält, kann man nur ahnen. Ab und zu zeigt ein kurzes Kopfschütteln, dass Ermyas M. den Verlauf des Prozesses nicht billigt. Sieben Wochen nach Beginn der Hauptverhandlung im Potsdamer Landgericht mehren sich die Zweifel, ob Zeugenaussagen und andere Indizien reichen, um die Angeklagten Björn L. und Thomas M. zu verurteilen.

Ein Freispruch, aus Mangel an Beweisen oder vielleicht sogar wegen erwiesener Unschuld, ist nicht auszuschließen. Wer Ermyas M. in der Nacht zu Ostersonntag 2006 in Potsdam mit solcher Wucht gegen den Kopf schlug, dass der Deutschafrikaner beinahe sein Leben verloren hätte, wird möglicherweise nicht aufzuklären sein. Damit bliebe eine Straftat, die wie nur wenige über Brandenburg hinaus Aufregung ausgelöst hatte, ungesühnt. Es wäre für Polizei und Staatsanwaltschaft ein Fiasko.

Eine Szene verdeutlicht das Dilemma, in dem Oberstaatsanwalt Rüdiger Falch und seine Kollegin, Staatsanwältin Juliane Heil, gefangen sind. Vorige Woche hat eine Sachverständige des Landeskriminalamts die „Spur 3/3“ präsentiert, eine am Tatort gefundene Scherbe mit DNA-Material. Zunächst sagt die resolute Beamtin, unter dem „Postulat“, nur zwei Personen hätten die „Mischspur“ verursacht, kämen Ermyas M. und der Angeklagte Thomas M. in Betracht. Demnach wäre genetisches Material von Thomas M. auf einer Scherbe der Bierflasche, die Ermyas M. in der Tatnacht dabei hatte. Klingt nach einem starken Indiz.

Die Sachverständige sagt dann, Kollegen hätten die Scherbe mit anderen Flaschenresten in eine Tüte gesteckt. Das sei völlig in Ordnung. „Wieso ist das in Ordnung?“ faucht der Vorsitzende Richter der 4. Strafkammer, der sonst eher kühle Michael Thies. Die Beamtin wird kleinlaut und gibt zu, die DNA-Spur könnte auch von einer anderen Scherbe übertragen worden sein. Die Frau hätte gleich hinzufügen können: in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten.

Ein anderes Indiz, der Mitschnitt aus der Tatnacht auf der Mobilbox der Frau von Ermyas M., hat die Angeklagten auch kaum in Bedrängnis gebracht. Zwar wollen Zeugen die hohe Stimme von Björn L. wiedererkannt haben, den Freunde „Piepsi“ nennen. Doch Bekannte sowie zwei Polizisten und ein Arzt sagen, L. habe damals heiser geklungen. So bleibt offen, ob er einer der Männer war, die auf dem Band mit „Nigger“ zu hören sind.

Und Zeugen, die in der Nähe des Tatorts waren, widersprechen sich. Keiner kann Björn L. und Thomas M. sicher identifizieren. Nur: Wenn beide unschuldig sind, warum haben ihre Anwälte sie bislang zum Schweigen vergattert? Und wieso fühlt sich eine Zeugin von einem Rockerfreund von L. bedroht?

Die Staatsanwaltschaft hofft, zumindest Björn L. noch überführen zu können. Mit einem Gutachten der Polizei zu den Stimmen auf der Mobilbox. Vielleicht lässt sich nachweisen, der Angeklagte könnte trotz Heiserkeit so geklungen haben wie einer der Männer, der „Nigger“ sagte. Ermyas M. wird das Resultat notieren. Vermutlich stumm.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })