Landeshauptstadt: In der Hauptrolle Frau
Die Filmproduzentin Michaela von Unger fand im Kampf gegen den Krebs den Mut zur Weiblichkeit
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Sie leuchtet. Sie erzählt von der Chemotherapie und das Winterlicht erwärmt sich an ihrem schönen Gesicht. Kein Makel als Zeichen des Überstandenen. Die hohe Stirn ist eben, schmale feine Fältchen zerteilen sie, scharf wie mit dem Rasiermesser gezogen. Michaela von Unger ist 41 Jahre alt, Stirnfältchen zählen nicht als Befund. Der Tod ging nah an ihr vorüber, aber spurlos. Die Stimme der Filmproduzentin hatte am Telefon herb gewirkt, da war sie noch im Terminstress. Erst jetzt, zum Jahresende, beginnt die Kreativpause, die Zeit, in der Michaela von Unger zu Hause in Potsdam an Drehbüchern feilt und Ideen entwickelt für die „Küstenwache“. Die ZDF-Serie ist ein Projekt von „Opalfilm“, der Berliner Firma, in der sie arbeitet.
Das weiße Notebook auf den Oberschenkeln, die Knie angezogen, arbeitet sie daran, die großen Themen in den Rahmen einer Fernsehserie zu übertragen, das Altern, den Tod oder auch die Weltpolitik, den Antiterrorkampf, Flüchtlingsschicksale. Sie trägt einen Rock, der Pullover ist weit ausgeschnittenen, sie ist ganz Frau, sie hat nichts Burschikoses an sich, nichts Männliches, nichts von jener Furcht, ein schwaches Weib zu sein, die sie in ihrem ersten Leben prägte.
Als sie den Lymphdrüsenkrebs besiegt hatte, war es „wie neu geboren werden“. Sie hat sich in den Jahren der Therapien völlig verändert, sie sei ein anderer Mensch geworden, sehe heute ganz anders aus. „Von zu Hause aus“, sagt sie, „ist mir der weibliche Frauentyp nicht mitgegeben worden.“ Sie waren drei Schwestern, ein Drei-Mädel-Haus. Ihre Mutter habe sich wegen der Kinder nicht so verwirklichen können, wie sie wollte. Ihre Töchter sollten daher nie von einem Mann abhängig sein, immer ihr eigenes Geld haben, keine Schwächen zeigen. Schon gar nicht vor Männern.
Sie ist eine Motorradbraut, als sie vor 18 Jahren ihren Mann kennen lernt, im Café Extro in Bonn. Dort kellnert sie neben dem Studium. Sie belegt Sport und Pädagogik auf Lehramt. Doch es ist wieder Lehrerschwemme, sie wechselt zu den Kommunikationswissenschaften. In dem Café beginnt ihre Filmkarriere. Schauspieler, die gegenüber gerade „Bonner Geschichten“ drehen, nutzen das Extro als Umkleidekabine und nehmen dort nach Drehschluss einen Absacker. Sie kommen ins Gespräch, streiten, die Filmer schwärmen vom Film, sie vom Theater. Sie wird eingeladen, einen Drehtag am Set zu verbringen, der Funke springt über, sie ist sofort Feuer und Flamme für das Filmgeschäft. Sie beginnt am Set mitzuarbeiten. Doch Schauspieler bei Laune zu halten ist wie Kinderbetreuung. Die Darsteller sind sensibel, sie sagen, sie verstehen dies nicht und jenes nicht und sind doch nur auf Aufmerksamkeit aus. Michaela von Unger wechselt, wird Studiosekretärin, Regieassistentin, arbeitet als „Continuity“. Das sind die Leute, die darauf achten, dass die gedrehten Szenen ohne Brüche in einander übergehen – wenn der Schauspieler eben noch einen gelben Schlips trägt, sollte es in der Anschlussszene kein roter sein.
Sie drehen in Afrika. In der Freizeit fährt sie auf einer Kawasaki Motocross in der Sahara. Sie wirkt sehr männlich in dieser Zeit. Ihr Mann mag Kleider, doch sie trägt Hosen und kurze Haare und ist „tough“, hart im Nehmen. Im September 1990 reißt sie die Diagnose aus dem hochaktiven Leben. Es folgen Chemotherapie und Bestrahlung. Über ein Jahr kann sie nicht arbeiten. Durch das massive Vorgehen gegen den Krebs gewinnt sie eine Schlacht, nicht aber den Krieg. Sie hat einen Rückfall, ihr Gegner kehrt zurück. 28-jährig denkt sie ans Sterben, an den Tod. „Ich hatte mich aufgegeben.“
1992 ist die Hochdosistherapie, eine extrem intensive Form der Chemotherapie, noch relativ neu. Diese Behandlung führt zu einer massiven Schädigung der Knochenmarkstammzellen. Sie müssen entfernt und durch eigene, vorher gespendete ersetzt werden. Professor Dieter Huhn vom Virchow-Klinikum in Berlin unterzieht Michaela von Unger dieser enorm strapaziösen Therapie. „Er war mein Engel.“ Der Krebs verschwindet aus ihrem Körper. Der aber ist geschwächt, erst langsam kehrt das Immunsystem zurück. So unfair es ist, aber noch in dieser Phase ist der Tod im Raum. Patienten feiern den Sieg über den Krebs und sterben an Infektionskrankheiten, etwa an Lungenentzündung. Es ist immer noch eine sehr gefährliche Zeit.
Für Monate muss die junge Frau in Quarantäne. Freunde und Verwandte, die sie besuchen, tragen einen Mundschutz oder bleiben ganz hinter einer Glasscheibe. Wenn ihr Zimmer gelüftet wird, muss sie ins Bad. Doch sie hat Zeit. Zwei Jahre dauert ihr Kampf und sie führt ihn nicht nur gegen den Krebs.
Sie kämpft auch gegen die Bürde der Vergangenheit, nicht das schwache Geschlecht sein zu dürfen. Die Krankheit wirft sie auf sich selbst zurück. Sie erkennt, dass sie ein Leben nach den Maßgaben ihrer Mutter geführt hat, dass sie nicht im Einklang mit sich selbst lebte. Ihr Mann findet sie „im Rock toll“, hilft ihr, ermutigt sie, die weibliche Seite an ihr zu entwickeln. Die Siegerin über den Krebs hat die Stärke, es zuzulassen. „Man ist auf der Welt, um heraus zu bekommen, wer man ist“, sagt sie. Zuvor konnte sie nicht allein sein. Seit 1997 lebt sie in Potsdam, das ist Natur, Ruhe, Harmonie und Einsamkeit für sie. „Hier will ich alt werden.“ Potsdam ist gut für ihre Seele. Wenn sie nach einer Reise nach Hause kommt und die Häuser sieht, „denke ich, oh tut das gut“.
Die Metamorphose liegt zurück, der Schmetterling hat einen kräftigen Flügelschlag. Beruflich ist sie erfolgreich, der von ihr produzierte Spielfilm „Mitfahrer“ mit Ulrich Matthes und einem Budget von fast einer Million Euro feiert 2005 Premiere mit guten Kritiken. Wahrscheinlich ist es so, dass sie einen Schritt weiter ist, als die Protagonistinnen für die Emanzipation der Frau. Die sind auch härter durchs Leben gegangen – findet sie. Sie aber ist die, die den Mut hat, als Frau erfolgreich zu sein.
Die ersten Auftritte von Angela Merkel als Bundeskanzlerin fallen Michaela von Unger und ihren Kolleginnen sofort auf. Kaum Regierungschefin, kleidet sie sich konservativ, dunkel, männlich. Beinahe schreiben sie der Regierungschefin eine E-mail: „Hey, zieh dich wieder so an wie vorher, du musst dich nicht verstecken.“ Michaela von Unger versteckt sich nicht. Wenn Männer ihr in der Diskussion weibliche Emotionalität vorwerfen, antwortet sie: „Na und, daran siehst du, wie sehr mir daran gelegen ist.“ So einfach ist das. Und so schwer.
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