
© Andreas Klaer
Programm für geflüchtete Lehrer an der Uni Potsdam: In der Praxis kompliziert
Alaa Kassab war schon in ihrer Heimatstadt Aleppo Lehrerin, bevor sie der Krieg zur Flucht zwang. Nun nimmt sie an dem Lehrerprogramm der Uni Potsdam teil – doch das deutsche System hat viele Hürden.
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Potsdam - Eigentlich wollte Alaa Kassab schon immer Lehrerin werden. Bereits als Kind eiferte sie ihren älteren Schwestern nach, die beide Englischlehrerinnen waren, strengte sich in der Schule an, um Englisch studieren zu können. So kam es auch, nach dem Abitur schrieb Alaa sich an der Universität ihrer Heimatstadt Aleppo ein und arbeitete parallel in verschiedenen Schulen. Doch als der Krieg kam und das Leben immer gefährlicher machte, entschied sich Alaa zur Flucht nach Deutschland – und landete in Potsdam. Als eine von wenigen schaffte sie es in das bundesweit einzigartige Qualifizierungsprogramm der Universität Potsdam für geflüchtete Lehrer, seit April nimmt sie daran teil. Gerade hat der Praxisteil begonnen, jeden Mittwoch hospitiert sie an der Da-Vinci-Gesamtschule in Potsdam-West. Doch ob sie immer noch Lehrerin werden will, weiß Alaa nicht mehr so genau.
„Anfangs war ich sehr motiviert“, sagt die 24-Jährige. „Aber mittlerweile weiß ich, wie schwer es für mich sein wird, in Deutschland Lehrer zu werden.“ Zum einen sei da die Sprache. Zwar spricht sie mittlerweile ziemlich gut Deutsch, Niveau B1 hat sie schon, B2 wird sie bald abschließen. „Aber ich werde nie wie ein Muttersprachler reden“, sagt sie. Der zweite, wahrscheinlich noch gravierendere Punkt, ist das deutsche Lehramtssystem. Nicht nur, dass hierzulande zwei Fächer Pflicht sind – nur Englisch würde Alaa also nicht reichen. Auch eine pädagogische Ausbildung wird vorausgesetzt, anders als in Syrien.
"In Syrien geht die Schule viel strenger zu"
Andererseits: Schule in Deutschland gefällt ihr gut. Gerade saß sie im Englischunterricht einer siebten Klasse in der Da-Vinci-Schule – nach einem Artikel in den PNN war man dort auf Alaa aufmerksam geworden und hatte ihr ein Praktikum angeboten. Lehrerin Mareike Teschendorf hat die Kinder viel in freier Gruppenarbeit machen lassen. Es war Bewegung im Raum, es wurde gemeinsam nachgedacht und auch gelacht. „In Syrien geht es in der Schule viel strenger zu“, sagt Alaa. „Es ist leiser, die Kinder können nicht anziehen was sie wollen und Handys sind auch nicht erlaubt.“ Gleichzeitig sei der Unterricht viel weniger kreativ, weniger interessant, mehr theoretisch. „Und die Kinder hier haben mehr Freiheiten, selbst zu entscheiden.“ Etwas, was Alaa generell an Deutschland schätzt. Die Kinder können entscheiden, welche Sprache sie lernen wollen, die Frauen, wen sie heiraten und wie viele Kinder sie bekommen. Ganz nach ihrem Geschmack, die Traditionen in ihrer Heimat waren ihr ohnehin viel zu eng.
„Meine Eltern haben mich ausgelacht, als ich ihnen erzählte, dass ich nach Deutschland gehen will“, sagt Alaa und ihre großen dunklen Augen blitzen auf. Doch als sie eines Tages soweit war, sich eine Route überlegt und ihr wichtigstes Hab und Gut gepackt hatte, ließen die Eltern sie ziehen. „Sie wusste, dass ich in Aleppo nicht glücklich werden würde.“
Traurige, spannende, entsetzliche und lustige Geschichten von der Flucht
Beruhigt waren sie außerdem, dass Alaa schon jemanden in Deutschland kannte: Über Facebook hatte sie einen jungen Studenten in Potsdam kennengelernt, unter einem Post über eine bekannte Serie tauschten sie sich aus und verliebten sich sozusagen digital ineinander. Außerdem sollte ein Verwandter Alaa begleiten, gemeinsam starteten sie von Aleppo aus. Doch schon im Libanon wurde der Verwandte von Beamten wegen eines angeblich fehlenden Schriftstücks zurückgeschickt, ab jetzt war Alaa auf sich gestellt. Doch sie sagt: „Ich war froh. Der Verwandte war sehr ängstlich, ich musste ihn immer beruhigen.“
Mehrere Wochen dauerte es, bis Alaa sich über den Libanon, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien und Österreich nach Deutschland durchgekämpft hatte. Es sind spannende, traurige, entsetzliche aber auch lustige Geschichten, die sie von dieser Flucht erzählt, bei der sie immer wieder durch ihr gutes Englisch und ihr offenes Wesen profitierte. Bis heute hat sie Kontakt mit Flüchtlingen und Flüchtlingshelfern, die sie in jenen Wochen kennenlernte.
Kontakt zu deutschen Studenten sei sehr wertvoll
Nun lebt Alaa bei ihrem Potsdamer Freund, der mittlerweile ihr Verlobter ist, und besucht das Universitätsprogramm. Hauptsächlich bekommt sie dort Deutschunterricht, doch auch Kurse wie „Leben und Arbeiten in Deutschland“, „Einführung in die Schulpädagogik“ oder „Einführung in den englischen Sprach-Unterricht“ stehen auf ihrem Stundenplan. Alles sehr interessant, findet Alaa, vor allem der Kontakt zu deutschen Studenten und Professoren sei für sie sehr wertvoll. Doch die Inhalte sind nicht ganz einfach, auch mit dem Deutschlernen gehe es langsamer als geplant.
Ähnliches berichtet auch Andreas Musil, Vizepräsident für Lehre und Studium der Uni Potsdam. „Wir hatten ursprünglich gedacht, dass ein Jahr intensiver Deutschunterricht ausreicht, um die geflüchteten Lehrer an die Schulen gehen zu lassen", sagt er. Nach einem guten halben Jahr zeige sich nun, dass man wohl zu optimistisch war. Trotzdem ist er von dem Programm noch überzeugt: „Wir brauchen die besondere Qualifikation dieser Menschen.“ Denn Lehrkräfte würden dringend gebraucht. Nicht nur für die deutschen, sondern auch und erst recht für die vielen geflüchteten Kinder. Denkbar sei, dass die Absolventen des Qualifikationsprogramms etwa als Assistenzlehrer in Klassen mit geflüchteten Kindern arbeiteten und hier sprachlich und kulturell vermittelten. „Diese Stellen gibt es aber noch nicht. Wir müssen überlegen, ob die Schulträger diese neu schaffen sollten“, so Musil.
Sie kommen aus Guben oder Cottbus - und nicht immer werden Fahrtkosten übernommen
Probleme bereitet den syrischen Lehrern nicht nur die sprachliche Barriere. Einige Teilnehmer seien abgesprungen, weil die verantwortlichen Jobcenter die Fahrtkosten nicht übernommen hätten, berichtet Diana Gonzalez Olivio vom Akademischen Auslandsamt, die die geflüchteten Lehrer betreut. Die Begründung macht stutzig: Die Maßnahme diene nicht der Qualifikation für den Arbeitsmarkt, habe es geheißen. Einige der rund 90 Teilnehmenden nehmen immerhin mehrstündige Fahrten auf sich. Sie kommen etwa aus Guben, Senftenberg oder Cottbus – nicht alle wohnen so nah wie Alaa.
Bis April läuft das Programm noch, wie es dann weitergeht, ist für die meisten noch offen. „Es wird mit jedem Teilnehmer Gespräche geben, wie es weitergeht und was für den Einzelnen am sinnvollsten ist“, verspricht die Initiatorin des Modellprojekts, Miriam Vock. Bis dahin wird Alaa weiter Deutsch lernen, Vorlesungen besuchen und jeden Mittwoch an der Da-Vinci-Gesamtschule hospitieren. „Wir finden es wichtig, Menschen wie Alaa eine Perspektive zu bieten“, sagt Schulleiterin Kirsten Schmollack. „Hier bekommt sie einen Einblick, wie unser System Schule funktioniert.“ Ob sie Teil dieses Systems sein will und kann, das muss Alaa sich nun überlegen. Ein paar Monate hat sie noch Zeit. (mit Heike Kampe)
Am Samstag veranstaltet die Da-Vinci-Gesamtschule, Haeckelstraße 72, von 10 bis 13 Uhr einen Tag der offenen Tür. Mehr Infos >>
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