MEINE Woche: In der S-Bahn
Halb zwölf in der Nacht. Wir, drei junge Journalistinnen aus Russland und der Republik Moldau, fahren nach der Verleihung eines Reportagepreises zu unserem Haus in einem Berliner Studentendorf.
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Halb zwölf in der Nacht. Wir, drei junge Journalistinnen aus Russland und der Republik Moldau, fahren nach der Verleihung eines Reportagepreises zu unserem Haus in einem Berliner Studentendorf. Der S-Bahn-Wagen ist leer – bis an einer Station drei Mädchen einsteigen. Sie sind kaum älter als 17 Jahre. Eine von ihnen, eine hübsche, stark geschminkte Blondine in kurzem Rock, kann kaum selbstständig auf ihren Beinen stehen. Die anderen Zwei haben sich bei ihr eingehakt und befördern sie auf einen Sitz – direkt uns gegenüber. Die zwei Mädchen versuchen zu lächeln, doch aus ihren Gesichtern spricht Verwirrung und Angst. „Sind das Drogen oder Alkohol?“, fragen wir. „Alkohol“, ist die Antwort. Wir wechseln Blicke. Wir wissen genau, was man in solchen Situationen tun muss. Wir kennen quasi hunderteins Methoden, einen Menschen zu Bewusstsein zu bringen. Wir wissen, was man bevor, während und nach dem Alkoholgenuss machen soll, damit es leichter für den Körper wird. „Sie sollte jetzt viel Wasser oder Coca-Cola trinken, um zu kotzen. Und morgens tut Hühnerbrühe gut, damit der Kater nicht so stark wird“, raten wir. Die Mädels hören zu und passen auf ihre Freundin auf, die sich mit geschlossenen Augen an eine Schulter gelehnt hat. Nach ein paar Stationen steigen sie aus. Sie können das hübsche Mädchen kaum festhalten, sie fällt fast auf dem Boden runter. Fragen. Sollen wir auch aussteigen? Sollen wir helfen? Sollen wir das Krankenhaus oder die Eltern anrufen? Nein, wir machen das nicht. Sie müssen das selbst schaffen. Wir fahren schweigend weiter. Jeder erinnert sich an seine Teenager-Zeit. Als wir 16 waren, hatten wir viele ähnliche Erfahrungen. Die postsowjetische Zeit hat uns viele Sachen beigebracht. Ob sie alle nützlich sind? Diese Frage kann ich nicht beantworten.
Natalia Robul ist 22 Jahre alt und kommt aus der Republik Moldau. Derzeit ist sie Praktikantin bei den PNN.
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