Von Jan Brunzlow: In Modulen zum Abitur
Jurymitglieder des Deutschen Schulpreises besuchen die Eliteschule des Sports – und zeigen sich positiv überrascht
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Hans Anand Pant hat keine Monster gefunden. Anderthalb Tage lang hat er danach in Potsdam gesucht, speziell an der Sportschule im Luftschiffhafen. Der Direktor des Institutes für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen an der Humboldt-Uni zu Berlin wollte sie einmal live sehen, die „kleinen Monster“, die fünf Stunden am Tag trainieren und ansonsten die soziale Bindung zur Welt verloren haben. So hat der Professor sich Sportler vorgestellt, die an der Eliteschule lernen. Doch das Bild des stereotypen Sportlers – muskelbepackt, mit Blut unterlaufenen Augen und einsilbig – gibt es nicht mehr. Zumindest in der Zeit nicht, als Anand Pant durch die Flure der Schule streift. Er will sich gemeinsam mit Kollegen ein Bild von der Einrichtung machen, die sich um den Deutschen Schulpreis 2011 beworben hat. Mit einem Schulkonzept, das die Symbiose zwischen Leistungssport und bestmöglichem Schulabschluss gewährleisten soll. Seit einigen Tagen ist die Gesamtschule dabei wieder um eine Facette reicher.
„Wir haben das Abitur in Modulen genehmigt bekommen“, sagt Schulleiter Rüdiger Ziemer bei der Abschlusspräsentation der Schulpreisjury eher beiläufig. Das Schreiben kam vom Bildungsministerium des Landes, abgesegnet von der Kultusministerkonferenz der Länder. Damit beschreitet die Potsdamer Sportschule Friedrich Ludwig Jahn deutschlandweit Neuland auf dem Weg zum Abitur. Der Schulversuch sei für acht Jahre genehmigt, sagte Ziemer. Ab dem kommenden Schuljahr soll damit begonnen werden. Dadurch könnten die Leistungssportler noch besser ihre schulische Laufbahn mit der sportlichen verbinden.
Die Praxis würde so aussehen: Schüler im Abiturstress befinden sich in besonderen Situationen, Sportschüler stehen zusätzlich in diesem Alter zwischen 17 und 20 Jahren auf dem Sprung in die Weltspitze. Um diese Doppelbelastung für die Schüler erträglicher zu gestalten, oder trotz der Vorbereitungen auf Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften nicht die Ausbildung aufgeben zu müssen, sollen sie nun durch ein neues System gefördert werden. Die Abiturprüfungen werden nicht innerhalb weniger Wochen geschrieben, sondern zeitlich flexibel auf mehrere Jahre verteilt werden. So könnten in der elften Klasse die doppelte Anzahl von Deutsch-Stunden unterrichtet und am Jahresende in dem Fach die Reifeprüfung abgelegt werden. Im Jahr danach folgen beispielsweise Mathe und andere Fächer, im Schuljahr darauf wieder andere Fächer. Das Genehmigungsverfahren sei ein langer Prozess gewesen, hieß es. Schon heute besteht die Möglichkeit an der Sportschule, die schulische Laufbahn zu strecken und das Abitur nach spätestens 15 Jahren abzulegen.
Rüdiger Ziemer leitet seit 1996 die Sportschule Potsdam und hat gemeinsam mit seinem Kollegium neue Schwerpunktsportarten etabliert und Konzepte verwirklicht. Seit sechs Jahren nimmt die Gesamtschule am Projekt Reformzeit der Robert-Bosch-Stiftung teil, in der das differenzierte Lernen im Klassenverband erprobt wird. Zudem haben sie eine Schulpartnerschaft mit zwei Einrichtungen in Mosambik, an die jedes Jahr Schüler fahren, um dort Entwicklungshilfe und soziale Arbeit zu leisten.
Genau solche Konzepte, die für die sportliche, schulische und soziale Entwicklung der Schüler maßgeschneidert worden sind, haben die Jurymitglieder des Deutschen Schulpreises nach eigenen Aussagen beeindruckt. „Hier versuchen sie den Schülern den Lebenstraum Olympia zu ermöglichen“, sagte Axel Weyrauch, Jury-Mitglied aus Thüringen. Das bringe für die Schüler Entbehrungen mit sich, aber dennoch gebe es einen gefühlvollen Umgang der Lehrer mit der Entwicklung des Schülers und Sportlers. Auch Jürgen Oelkers, Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Zürich, sagte, „die logistische Leistung an der Schule hat mich beeindruckt“. Hier werden Schüler nicht zwischen 8 und 16 Uhr betreut, sondern 24 Stunden lang an bis zu sieben Tagen. Selbst dann, wenn sie beim Wettkampf oder im Trainingslager sind. Da hat die Schule eine mediale Plattform gefunden, wie sie eine Art Fernunterricht gewährleisten kann. Selbst Klausuren oder Klassenarbeiten werden unter Aufsicht der Trainer im Trainingslager geschrieben. „Diese Kooperation mit dem Spitzensport ist sehr vorbildlich“, so Oelkers, der Reformpädagogik im internationalen Vergleich, Analytische Erziehungsphilosophie, Inhaltsanalysen öffentlicher Bildung und Bildungspolitik als seine Forschungschwerpunkte nennt. Er wirkt überzeugt von der Schule. Ob es allerdings für eine endgültige Nominierung für den Deutschen Schulpreis reicht, wird erst am 23. März entschieden. Es ist die 16. der zwanzig Schulen deutschlandweit in der engeren Auswahl für den Preis, die sich die Jury-Mitglieder seit Anfang Januar angeschaut haben. Die nominierten Schulen nehmen abschließend an der Preisverleihung mit Bundespräsident Christian Wulff Anfang Juni in Berlin teil.
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