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Landeshauptstadt: Initiative des Vertrauens

600 Gäste beim Neujahrsempfang der Stadt, Jakobs will Neiddebatte beenden

So hatte sich Potsdams Oberbürgermeister den Auftakt zum „Jahr der Architektur 2006“ mit Sicherheit nicht vorgestellt. Als Jann Jakobs gestern beim Neujahrsempfang der Landeshauptstadt im Nikolaisaal vor 600 geladenen Gästen die Eröffnungsworte sprach, musste er selbst eingestehen: „Als dieses ,Jahr der Architektur“ erdacht wurde, war noch nicht abzusehen, wie nah uns dieses Thema gehen würde.“ Gemeint war damit die Debatte um das geplante Freizeitbad am Brauhausberg nach Entwurf des brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer. In ein „Volksbad“ taufte Jakobs das umstrittene Bauwerk in seiner Rede um – und machte noch einmal deutlich, dass es ihm „sehr schwer“ falle, für die bisherige Fördergeld-Absage des Wirtschaftsministeriums „einen wirklich stichhaltigen Grund“ zu finden.

Das Ministerium hatte eine Förderung des Bades in Höhe von rund 29 Millionen Euro versagt und als Gründe dafür zu hohe Investitions- und Unterhaltungskosten, aber auch ein „zu hohes Risiko“ angegeben. Zudem hatte das Finanzministerium in einem Prüfvermerk konstatiert, die Niemeyer-Architektur sei fünf Millionen Euro teurer als ein „normales“ Bad.

Jakobs sagte gestern in diesem Zusammenhang, Potsdam werde einmal die Landeshauptstadt des gemeinsamen Landes Berlin-Brandenburg sein. „Die Maßstäbe unseres Denkens und Handelns ergeben sich auch aus dieser Perspektive.“ Sie müssten darauf gerichtet sein, „dieser Funktion dann auch gerecht werden zu können“. Dies betreffe das „Antlitz“ der Stadt genauso wie ihre politische und kulturelle Verfasstheit. „Die architektonische Ausgestaltung der Mitte ist dabei von grundsätzlicher Bedeutung.“

Der Oberbürgermeister kündigte zudem Aktionen an, um die Neiddebatte im Land gegen Potsdam zu beruhigen. Der Widerspruch „zwischen dem berechtigten Stolz der Brandenburger“ auf ihre Landeshauptstadt und dem „zunehmend kritischen Blick auf Potsdam“ müsse aufgelöst werden. Dazu wolle er Gespräche mit seinen Oberbürgermeister-Kollegen, Landräten und Bürgermeistern führen. Das Land solle sich in Potsdam darstellen können, beispielsweise mit einem Original-Spreewald-Laden in der Innenstadt, Ausstellungen zu den Regionen oder Kulturveranstaltungen. Jakobs distanzierte sich jedoch von einer „Image-Kampagne im Stile von ,Du bist Potsdam“. Es gehe um eine „Initiative des Vertrauens und der Zusammenarbeit“.

Ministerpräsident Matthias Platzeck kündigte in seiner Rede an, das Land werde seiner Landeshauptstadt „weiter viel Kraft widmen“. Bei allen Schwierigkeiten bleibe die Verbundenheit. Platzeck lobte zudem den „immer deutlicher“ werdenden Bürgersinn, der mit der Eintragung des Potsdamers Siegfried Benn in das Goldene Buch der Stadt „im besten Sinne“ geehrt werde. Der gelernte Bauingenieur Benn hat Mitte der 90er Jahre die Wiederherstellung des Potsdamer Stadtkanals initiiert – nachdem er Ende der 60er Jahre an dessen Zuschüttung beteiligt gewesen war. Platzeck sagte, Benn habe sich dem Vorhaben „mit Haut und Haaren“ verschrieben und mit Engagement, Leidenschaft und Kompetenz Erfolg gehabt. Noch in diesem Jahr soll mit der Wiederherstellung des Kanal-Abschnitts von der Straße Am Kanal bis zur Havel begonnen werden.

Erst mit dem Stadtkanal erhalte Potsdam „seine Einzigartigkeit zurück“, sagte auch Dr. Dieter Bartetzko, Schriftsteller und Architekturkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, in seiner viel beachteten Festrede. Bartetzko charakterisierte Potsdams Architektur als im Schwebezustand, „in dem Alt und Neu unverbunden nebeneinander und gegeneinander stehe“. Gemeinsam bildeten sie zurzeit eine „sperrige Collage, in der bestechend Schönes mit erschreckend Hässlichem kollidiert“. Er appellierte an die Stadt, daraus „ein Ganzes werden zu lassen, in dem Gegensätze nicht eingeebnet, aber zumindest ausgeglichen und vielleicht sogar versöhnt“ würden.

Bartetzko riet jedoch von einem originalgetreuen Wiederaufbau beispielsweise des Stadtschlosses und der Garnisonkirche ab. Sie sollten als „Collagen aus den geborgenen und wieder verwendbaren historischen Relikten“ und Ergänzungen der Gegenwartsarchitektur entstehen. Den Niemeyer-Entwurf für das Freizeitbad nannte Bartetzko einen „Glücksfall für Potsdam“.

Oberbürgermeister Jakobs sagte, in Potsdam könne der Stand der Architektur trotz des „immerwährenden Konflikts“ zwischen Weltkulturerbe und lebenswerter Stadt nicht „festgeschrieben“ werden. Neubaugebiete und historisches Erbe müssten gleichzeitig lebendig erhalten werden, denn „überall leben Potsdamer. In einer Stadt.“

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