Landeshauptstadt: Inmitten des Verfalls die Pracht des Casinos Tom Cruise lässt keine Besucher ein
Rundgang über ein Gelände, fast dreimal so groß wie Sanssouci Filmstadt Krampnitz – Ideen und Visionen zur Entwicklung des Kasernengeländes
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Rundgang über ein Gelände, fast dreimal so groß wie Sanssouci Filmstadt Krampnitz – Ideen und Visionen zur Entwicklung des Kasernengeländes Von Erhart Hohenstein Nur ein vergessener Strommast erinnert daran, dass auf dem weiten öden Platz vor gut vier Jahren die größte Schlacht des Zweiten Weltkriegs tobte. Damals war in der Nordwestecke der ehemaligen Kavallerieschule in Krampnitz der zentrale Platz von Stalingrad nachgebaut worden, mit Hausruinen und einer zerschossenen Straßenbahn. Jean-Jacques Annaud drehte hier seinen Film „Duell - Enemy at the Gates“. Seitdem ist das riesige Kasernengelände, mit 780 Hektar fast dreimal so groß wie der Park Sanssouci, in eine fast lähmende Stille zurückgefallen. Die mehr als 100 Gebäude und Hallen bröckeln weiter vor sich hin. Nur selten taucht wieder ein Filmstab auf, so für Polanskis „Der Pianist“ oder einen Fernsehkrimi, der eine Ruinenkulisse braucht. Bisher scheitern alle Versuche, das Areal ganz und in Teilen zu verwerten. Andererseits kommt ein Flächenabriss nicht in Frage, denn etwa die Hälfte des Kasernengeländes wurde nach der deutschen Wiedervereinigung unter Denkmalschutz gestellt. Er schließt die Wache mit dem an der B2 aufragenden Turm, Offizierscasino, Stabsgebäude (Kommandantenhaus), Fähnrichheim sowie alle Unterkunfts- und Wirtschaftsgebäude ein. Die größtenteils ruinösen Ställe, Werkstätten, Garagen und andere Funktionsbauten wurden davon ausgenommen. Die Kavallerieschule, die mit der Wiederaufrüstung durch die Eingliederung der Panzer- und motorisierten Verbände ungleich größere Aufgaben erhielt, war 1937 bis 1939 aus Hannover nach Krampnitz verlagert worden. Den Ausschlag dafür gaben die Weite des Geländes, die Nähe zur Hauptstadt Berlin und zum Truppenübungsplatz Döberitzer Heide. Damals wurde die Entwicklung vom Hot zum Mot eingeleitet, wie es in der Militärsprache hieß. Zwar spielten die Pferde als Transportmittel und für die Aufklärung auch im Zweiten Weltkrieg noch eine dominierende Rolle, immer mehr in den Vordergrund traten jedoch die Panzer- und anderen motorisierten Verbände. Demgemäß gab es in Krampnitz zur reiterlichen Ausbildung die Heeres-Reit- und Fahrschule, die auf die 1817 durch König Friedrich Wilhelm III. in Berlin begründete Militärreitschule zurückging, und eine „Kavallerie Lehr- und Versuchabteilung“ unter anderem mit Schwadronen für schwere Waffen (Panzer), Schützenpanzerwagen (damals Panzerspähwagen genannt) und Kradschützen. Die Einrichtung wurde 1941 in „Schule für schnelle Truppen“ und 1943 in „Panzertruppenschule II Krampnitz“ umbenannt. Zu diesem Zeitpunkt stand ein großer Teil des Offizierskorps dem Hitlerregime bereits kritisch gegenüber. Die Krampnitzer Panzer spielten deshalb in den Planungen der Attentäter des 20. Juli 1944 eine wichtige Rolle. Der Standortälteste Oberst Harald Momm kommentierte die Nachricht vom angeblichen Tod Hitlers mit dem Ausruf: „Ordonanz! Eine Flasche Schampus, das Schwein ist tot!“ Dann ließ er Panzer zur Unterstützung der Verschwörer nach Berlin in Marsch setzen, die aber erst gegen Abend das Brandenburger Tor erreichten und unverrichteter Dinge zurückkehrten. Momm, der einer der erfolgreichsten deutschen Springreiter und Equipenchef der Nationalmannschaft war, kam mit der zeitweiligen Versetzung in ein Strafbataillon davon. Die Repräsentationsgebäude des Kasernengeländes wurden durch Robert Kirsch in jener neoklassizistischen Monumentalität errichtet, für die für die Architektur des Dritten Reichs kennzeichnend war. Mit seinen streng gestalteten Festsaal, den dunkel getäfelten Gesellschaftsräumen, Holzbalkendecken und schmiedeeisernen Kronleuchtern strahlt das Offizierscasino in kalter Pracht. Als sein Herzstück ist das überkuppelte „Ehrenpreiszimmer“ erhalten, in dem die Pokale der deutschen Olympiareiter aufgestellt waren, die in der Kavallerieschule trainierten. Sie gewannen 1936 in Berlin alle Goldmedaillen. In den 90er Jahren hatte die Brandenburgische Bodengesellschaft als Verwalter des Geländes im Casino ihren Sitz genommen. Inzwischen ist sie nach Wünsdorf umgezogen, das Gebäude steht wieder leer. Irritierend in einigen Räumen knallbunte Gemälde, auf denen glückliche Menschen in die kommunistische Zukunft schreiten. Sie stammen aber nicht aus dem Nachlass der sowjetischen Besatzer, die bis Anfang der 90er Jahre das Kasernengelände nutzten, sondern sind Überbleibsel des Stalingrad-Films. Wie die PNN von Generalmajor a.D. der Volksarmee Hans-Georg Löffler erfragten, war hier ab 1945 nach Marschall Malinowski benannte 10. Garde-Panzer-Division, ab 1974/75 dann die 35. Mot.-Schützen-Division mit dem Stab und mehreren Regimentern stationiert. Nicht ganz so prächtig wie das Casino, aber in ähnlicher Innenarchitektur präsentiert sich das gegenüber liegende Stabsgebäude. Fußböden, Wände, Treppenhaus sind mit edlem Travertin verkleidet. Das Haus befindet sich in gutem Zustand, denn es wurde für die zeitweilige, inzwischen aufgegebene Nutzung durch ein Privatunternehmen hergerichtet. Militärhistoriker bewundern das an der Decke frei gelegte Wappen der Kavallerieschule. Es war durch Platten verkleidet worden und so der allgemeinen Zerstörung militärischer Symbole durch die sowjetischen Nutzer entgangen. Der Weg führt nach Norden, vorbei an Offiziersheim, den weniger aufwändig, aber solide gebauten Mannschaftsunterkünften und verfallenen, teils schon verschwundenen Stallanlagen bis zum Fähnrichheim. Über den fünf hohen Fenstern der streng gegliederten Fassade sind noch die Wappen deutscher Länder erhalten, über einem Seitengang steht in kyrillischen Buchstaben „Kniga“ (Buch) – ein Hinweis darauf, dass die russischen Truppen in dem Gebäude Kulturhaus und Bibliothek eingerichtet hatten. Nicht weit davon kämpft windschief ein Podest gegen das Umfallen. Auf ihm stand der sowjetische Kommandeur und nahm Paraden und Appelle ab. Heute bildet im Hintergrund das halb eingestürzte Heizhaus eine triste Kulisse. Richtung Westen und Süden nimmt der Verfall zu. Die ausgedehnten Stallanlagen, an deren Ende eine Reithalle angeordnet war – von den Russen als Kinosaal genutzt – , lohnen nur noch den Abriss. Gleiches gilt für die südlich des „Stalingrad“-Platz anschließenden Werkstatthallen. „Prawda - nascha Sila“ – Die Wahrheit ist unsere Stärke – lesen wir über einem „Mesto pogruski“, einem Verladeplatz. Lange vorbei Erhart Hohenstein Fast alle historischen Kasernen in Potsdam haben seit der Wende eine neue, zivile Nutzung gefunden, die mit ihren Denkmalstatus korrespondiert. Auf diese Vorreiterrolle kann die Potsdamer Denkmalpflege berechtigt stolz sein. „Wir wollten schon bald Vollzug melden, da bekamen wir mit der Eingemeindung das Kasernengelände in Krampnitz hinzu“, sagt Stadtkonservator Andreas Kalesse in ironischer Verzweiflung. Doch die hat einen ernsten Hintergrund. Auf dem riesigen Areal der Verfall zu stoppen und es neu und zeitgemäß zu verwerten, ist eine Herkulesarbeit. Dazu braucht es eine Konzeption und eine „Initialzündung“, die von einer Nutzung des Offizierscasinos, des Stabsgebäudes und anderen gut erhaltenen Gebäuden im vorderen Bereiche ausgehen könnte. Eine Chance wäre eine „Filmstadt Krampnitz“. Diese Überlegung erscheint durchaus realistisch, denn nach Annauds Stalingradfilm sollen auf dem Areal nun wichtige Szenen für „Mission Impossible 3“ mit Tom Cruise gedreht werden. Selbst wenn die Aufnahmen vorerst verschoben worden sind, „die Filmgesellschaft hat das gesamte Gelände gepachtet“, wie die PNN bei der Brandenburgischen Bodengesellschaft mbH in Wünsdorf erfuhren, unter deren Verwaltung die Kaserne steht. Dr. Reinhard Weise, der Abteilungsleiter Verwaltung und Flächenrecycling, sieht jedoch weitaus größere Verwertungsmöglichkeiten. Grundlage dafür müsse ein Konzept sein, das gemeinsam mit der Potsdamer Stadtplanung entwickelt werden soll. Am chancenreichsten erscheint ihm eine Kombination von Wohn- und Freizeitnutzung. Einen neuen Ansatz dazu lieferte jetzt die Heinz-Sielmann-Stiftung, die einen Teil des Truppenübungsplatzes Döberitzer Heide für den Naturschutz ankauft und das Besucherzentrum dafür auf dem angrenzenden Kasernengelände einrichten möchte. Für Reinhard Weise steht fest: Potsdam werde aufgrund der exquisiten landschaftlichen Lage und der Hauptstadtnähe weiter wachsen und Investoren alle Möglichkeiten geben, auch das Kasernengelände in Krampnitz gewinnbringend zu entwickeln. Diese Investoren müssen allerdings noch gefunden werden. Wie schwer das ist, zeigt die im ländlichen Heimatschutzstil errichtete Offizierssiedlung mit ihren mehr als 50 schlichten Doppelhäusern und einigen größeren Blocks. Nur ein geringer Teil davon wurde von einen privaten Investor übernommen, saniert und vermietet; der große Rest steht leer und verfällt. Vorerst hat nur der 22 Meter hohe Eingangsturm, von dem früher die Retraite (Kavalleriesignal) geblasen wurde, mit einem Mobilfunkunternehmen ihren Dauernutzer gefunden. Die Bodengesellschaft ist deshalb durchaus bereit, Interessenten das von Securitas bewachte Gelände zu zeigen. Und auch Touristengruppen, die sich vorher anmelden. „Jetzt ist es allerdings nicht mehr möglich“, schränkt Weise ein, „denn die Filmgesellschaft lässt keine Besucher zu.“ Das war schon bei den Dreharbeiten zum Stalingrad-Film so.
Erhart Hohenstein
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