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Dichter dran. Zurücklehnen in Videokonferenzen war gestern. Studierende des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts (HPI) haben eine Videotafel entworfen, auf der beide Seiten zeitgleich am selben Dokument arbeiten können.

© Tobias Reichelt

Von Tobias Reichelt: Innovation züchten

Neue Ideen der Potsdamer HPI-Studenten werden lange über die diesjährige IT-Messe Cebit hinaus ihre Wirkung entfalten

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Gemeinsam lösen sich Aufgaben besser als allein, sagt Lutz Gericke. Selbst dann, wenn man kilometerweit voneinander entfernt ist. Via Videokonferenz ist der Student des Potsdamer Hasso Plattner Instituts mit seiner Kollegin Raja Gumienny verbunden. Er winkt ihr kurz zu, dann geht es los. Mit einem Stift beginnt Gericke auf der Videowand eine Kugel zu malen. Sein Gegenüber wartet nicht lang. Gumienny hat Gericke beim Zeichnen beobachtet und auch auf ihrer Videowand ist der Kreis zu sehen. Sie ergänzt das Rund mit zwei Augen und ein paar Haaren – zu viel Haare, findet Gericke und radiert sie schnell wieder weg. „Videokonferenzen, in denen man sich zurücklehnen konnte, sind vorbei“, sagt er und setzt dem Gesicht eine Brille auf. Fertig.

Mit neuen Ideen haben die Softwaretüftler und Design-Erfinder des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts (HPI) zahlreiche Besucher der IT-Messe Cebit in Hannover in der vergangenen Woche zum Staunen gebracht. Immer wieder konnte die Mischung aus Videokonferenz und elektronischer Tafel, genannt Tele-Board, Technik-Freaks und Laien in den Bann ziehen. Einmal am Messestand gelandet, ließen sie sich von den mitgereisten Studenten und Doktoranden auch die neue Software gegen Angriffe auf Computernetzwerke erklären oder in die superschnelle „In-Memory-Datenbanktechnologie“ einführen – sie kann ein schlankes I-Pad mittels einer Internetverbindung zu einem externen Rechenzentrum zum Hochleistungsrechner mutieren lassen. Ein weiteres HPI-Projekt, das „Reliable Cloud Computing“, soll dann dafür sorgen, dass die Verbindung zum Rechenzentrum, dem Cloud-Computer, stabil bleibt. Ideen mit Marktwert, die länger wirken als die Cebit dauerte.

„Wir haben schon ein Patent für das Tele-Board angemeldet“, sagt Lutz Gericke. Das Projekt sei interessant für Firmen mit Standorten auf der ganzen Welt. „Es macht einfach einen Riesenunterschied, ob man selbst kilometerweit entfernt noch gemeinsam an einer Sache arbeiten kann, oder nicht.“ Setzen herkömmliche Videokonferenzen darauf, dass man sein Gegenüber lediglich sieht und hört, haben Gericke und Gumienny das Ganze mit einer elektronischen Tafel verbunden. Wie in der Schule in einem Klassenzimmer sieht man den Partner an der Tafel arbeiten und kann parallel Ideen einfließen lassen. Sollte das Projekt ursprünglich Teil einer Promotionsarbeit sein, sei inzwischen mehr daraus geworden, sagt Gericke. Am HPI wird die Technik eingesetzt, um mit den Kollegen in Paris oder Stanford zu arbeiten. Auch Nutzer mit Smartphone können sich einklinken, mitzeichnen und Notizzettel an die Videowand heften.

HPI-Student Jörg Waitelonis hat für sein Programm, dem „Semantic Media Explorer“ – kurz Semex, mit der Defa bereits einen Partner in der Praxis gefunden. In den Potsdamer Archiven der Filmstiftung lagern über 10 000 Stunden Videomaterial, der größte Teil davon noch auf alten Filmrollen. Das Archiv soll digitalisiert werden, sagt Waitelonis. Etwa 1000 Stunden hat er mit seiner Software bereits verarbeitet. Der Clou: Das Programm geht weit über die reine Digitalisierung der Filme hinaus. So werden auch Worte und Schriftzeichen erkannt, die im Film gesagt oder eingeblendet werden. Hinterher kann im Archiv sehr viel genauer nach dem passenden Film gesucht werden. Das ganze sieht zwar aus wie auf dem Video-Portal Youtube – „ist aber intelligenter“, so Waitelonis

Wird zum Beispiel in einer Dokumentation über die Hafenstadt Rostock etwas zur Fischerei gesagt, kann das Programm das erkennen. Sucht man dann im Filmarchiv zum Stichwort Fischerei, wird auch die Rostock-Doku aus dem Archiv gefischt. 2009 ist Waitelonis mit dem Test-Projekt gestartet, im Frühjahr 2012 läuft es aus. „Dann wird ein Produkt daraus, das wir an Fernsehsender oder Archive vertreiben“, sagt er.

Voll einsatzfähig ist bereits das neue HPI-Web-Labor „Tele-Lab IT Security“. Das Lernprogramm für den sicheren Umgang mit dem Internet war ursprünglich für die Universität entwickelt worden, erklärt HPI-Student Sebastian Roschke. Es sollte Studenten schulen und ihnen zeigen, wie leicht sich ein Datenverkehr im Internet anzapfen lässt, wenn dieser nicht gesichert ist. „Das Programm ist wie ein Sandkasten zum Testen“, sagt Roschke. IT-Fachleute können innerhalb des Labors ein System angreifen. „Es macht Sicherheit erlebbar“, sagt Roschke. Seit knapp fünf Jahren wird am HPI an dem Labor geforscht und gleichzeitig an der Software, die solche Angriffe erkennen und verhindern soll.

Inzwischen ist das Web-Labor im Internet unter www.tele-lab.org frei zugänglich – größtenteils aber auf englisch. Neben den speziellen Bereichen für IT-Kenner gibt es auch allgemeine Hinweise dazu, wie man als Laie Internet-Angriffe erkennen kann, wie man sein Netzwerk sichert oder sein Passwort wählt – dieses sollte beispielsweise nicht im Duden stehen, mindestens acht Zeichen lang sein und neben großen und kleinen Buchstaben auch diverse Zahlen und Sonderzeichen enthalten.

„Wir züchten den IT-Nachwuchs und die Innovationen“, sagte HPI-Sprecherin Barbara Keller gegenüber den PNN. Es seien vor allem die anwendernahen, praxisrelevanten HPI-Projekte, die über das Ende der diesjährigen Cebit hinaus weitere Interessenten finden werden. Auch wenn viele Projekte noch in der Forschungsphase steckten, sind die Ergebnisse mehr als präsentabel, findet sie. Und ein Ende der Ideenflut sei nicht in Sicht.

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