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Landeshauptstadt: Interessenten stehen Schlange

Haus mit Seltenheitswert: Die Adresse ist Russische Kolonie, der Obstgarten ist 7000 Quadratmeter groß

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Nauener Vorstadt - Es hat sich offenbar schnell herumgesprochen, dass das Blockhaus Russische Kolonie 11 verkauft wird. „Das Interesse ist gut, zumal wir ja noch nicht einmal richtig losgelegt haben“, sagt Achim Röske von der BHW Immobiliencenter in Potsdam.

Ein Haus aus der Russischen Kolonie ist nach Meinung von Experten nicht irgendeine Immobilie. Wer sie erwerbe, kaufe einen „Kunstgegenstand“ von Rang in einem Teil des Uneco-Weltkulturerbes. Der Erwerber muss sich daher peinlichst an die Bedingungen des Denkmalschutzes halten, was nicht jedermanns Sache sein dürfte.

Die Nutzfläche des Wohnhauses beträgt 126 Quadratmeter, der Hof ist 800 Quadratmeter groß. Außerdem gehört ein 7000 Quadratmeter großer Obstgarten zu dem Anwesen, das gegen Gebot verkauft wird. Der Mindestpreis ist mit 275 000 Euro beziffert. Aber wie bei einem Alten Meister der bildenden Kunst dürfte das „Werk“, wenn es auch restaurierungsbedürftig ist, weit über diesem Preis verkauft werden.

Die Bezeichnung „Blockhaus“ trifft nur auf das Äußere zu, denn hinter der Verblendung aus Bohlen verbirgt sich ein Fachwerkhaus mit fünf kleinen Zimmern, Küche und Bad.

Bis zu seinem Tode im vorigen Jahr wohnte hier Horst Schischkoff, einer der letzten Nachfahren der russischen Kolonisten, für die Friedrich Wilhelm III. das aus 13 Häusern bestehende „Dorf“ in den Jahren 1826/27 erbauen ließ. Zur Anlage gehört außerdem die Alexander-Newski- Gedächtniskirche am Kapellenberg und das einstige Königliche Landhaus, in dem heute Erzpriester Anatolij Koljada wohnt.

Die Ahnenreihe von Horst Hans Georg Schischkoff, so der vollständige Name des letzten „originalen“ Bewohners des Hauses Nr. 11, ist im großen Katalog des Museums Alexandrowka abgedruckt. Danach zogen als erste Wassili Schischkoff, Sänger im 1. Garde-Regiment zu Fuß, und seine Ehefrau Wilhelmine hier ein. Wassili stammte aus dem Gouvernement Tula in Russland und Wilhelmine aus Potsdam. Durch Acker-, Obst- und Gemüsebau sollten die Kolonisten zu ihrem Lebensunterhalt beitragen. Daher gibt es zu jedem Grundstück der von Peter Joseph Lenné gestalteten parkähnlichen Anlage einen riesigen Garten. Viele der Bewohner waren jedoch damit überfordert und suchten sich durch Vermietung und Verpachtung über Wasser zu halten. Auf Luftaufnahmen ist das „Andreaskreuz“ der Alexandrowka als herausragendes stadtbildprägendes Element sichtbar. Die Ansicht von oben zeigt aber auch, was dazu gehört, die Anlage zu pflegen. Die Untere Denkmalbehörde hat in den letzten Jahren die Pflanzung historischer Obstsorten gefördert, so dass auch in diesem Bereich der Historie Genüge getan wird.

Der letzte Schischkoff konnte das Anwesen im Jahre 1952 im Zuge der Bodenreform rechtmäßig erwerben. Sieben nicht unter die Bodenreformbestimmungen gefallene Häuser wurden damals zu Volkseigentum erklärt und vom Potsdamer Wohnungsamt vermietet. Nach der Wende wurden diese nach und nach privatisiert, zum Beispiel die Nummer 2, in dem sich das von Hermann A. Kremer gegründete Privatmuseum befindet. Der Stadt Potsdam gehört heute noch ein Teil der ausgedehnten Obstgärten sowie das Anwesen auf dem Kapellenberg. Selbst Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs wohnt in einem der Häuser.

Im vorigen Jahr ist die Russische Kolonie mit Unterstützung der Kommune und des Landes Brandenburg durch einen russisch-orthodoxen Friedhof am Fuße des Kapellenberges vervollkommnet worden. Aus Mitteln des Denkmalschutzes erfolgte außerdem die Instandsetzung der Wege des Dorfes sowie der historischen Zaunanlagen und Hecken. Außerdem ließ die Stadt einen historisch anmutenden russischen Brunnen anlegen.

Das seit 1999 zum Unesco-Welterbe gehörende Ensemble ist zunehmend ein Ziel Tausender von Touristen, die hier ein russisches Dorf, wie es nicht einmal in Russland vorhanden ist, besichtigen wollen. Doch das Äußere täuscht: Es handelt sich um eine ur-preußische Schöpfung, die der König zum Andenken an Zar Alexander I. errichten ließ.

Günter Schenke

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