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Landeshauptstadt: „Irrsinnige Gewalttätigkeit von Mao“

Gregor Voehse und Roman Böttcher erklärten Jugendlichen im Freiland den Sozialismus

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Sozialismus. Sind Millionen Tote nicht grausamer Beweis genug für das Scheitern dieser Idee? Nein, so einfach dürfe man es sich nicht machen, meint Gregor Voehse, Sozialarbeiter beim Diakonischen Werk in Potsdam. Der 51-Jährige veranstaltete am Samstag gemeinsam mit Roman Böttcher im Jugendkulturzentrum Freiland ein Seminar zur Geschichte und Praxis von Sozialismus und Kommunismus. Böttcher, Schüler des Zweiten Bildungsweges, und Voehse kennen sich seit vielen Jahren aus der Fan-Szene des Potsdamer Fußballklubs SV Babelsberg 03, wo Voehse als Sozialarbeiter tätig war.

Lenin, Mao und all die anderen kommunistischen Führer würden heutzutage immer nur „vom Ende der Geschichte her bewertet“, sagt Voehse. In seinem Seminar gehe er den umgekehrten Weg: die kommunistische Theorie „von ihrem utopistischen Anspruch her“ denken. Die elf Seminarteilnehmer, zumeist wohl so Anfang 20, dachten sich kräftig ein in die Welt von Marx, Engels und Lenin.

Einer von ihnen, seinen Namen mochte er nicht nennen, beklagte, dass der Kommunismus heute nicht mehr „diskursfähig“ sei. Kaum jemand setze sich noch ernsthaft mit diesem Thema auseinander. Die einen fragten: „Kommunismus – kann man das rauchen oder was?“ Die anderen verwiesen immer nur auf die Gulags, jene berüchtigten sowjetischen Straflager. Das sei zu kurz gesprungen. Schließlich müsse die Ausbeutung des Menschen und der Natur durch den Kapitalismus aufhören. Dass auch in den sozialistischen Staaten Raubbau an der Natur getrieben wurde, erwähnt er nicht. Eine andere Teilnehmerin des Seminars hält den Kapitalismus für den „Zwang überhaupt“. Es gehe um Befreiung davon. Allerdings, ob die kommunistischen Ideen der richtige Weg dazu seien – das wisse sie nicht so genau.

Doch würde nicht jeder Naturwissenschaftler seine Theorie verwerfen, wenn sie sich in hundert Experimenten nicht bestätigte? Voehse sagt, nur weil der Sozialismus in der Praxis scheiterte, heiße das nicht, dass man diese Idee auf den Schrotthaufen der Geschichte werfen müsse. Referent Roman Böttcher ergänzt, die Theorie des Sozialismus und Kommunismus sei etwas anderes als die in den sozialistischen Staaten gelebte Praxis.

Der 27-jährige Kevin, seinen Nachnamen möchte er nicht in der Zeitung lesen, hält einen wirklichen Sozialismus allemal für gerechter als das kapitalistische System. Die krasse Ungleichheit zwischen den Menschen müsse aufhören. Doch was ist dann mit der Freiheit des Einzelnen? Die „sollte man nicht abschaffen“, meint der junge Mann. Sie sei sogar „elementar wichtig“. Wie beides unter einen Hut zu bringen sei, nun ja, das könne er so genau auch nicht beantworten, er sei schließlich kein Philosoph. Aber eines müsse er jedenfalls feststellen: Die Gleichheit sei zumindest partiell Voraussetzung für die Freiheit. Denn ohne materielle Grundlagen könne man sich gar nicht frei entfalten. Er ließ dabei allerdings offen, warum erst in materieller Gleichheit für alle genug vorhanden sein soll, um in wirklicher Freiheit zu leben.

Getreu seiner Ankündigung im Vorfeld warf Voehse auch immer wieder einen Blick auf die im Namen des Kommunismus begangenen Verbrechen. Voehse geißelte die „irrsinnige Gewalttätigkeit von Mao“, unterstellte ihm jedoch zugleich, in der Frühzeit seines Wirkens habe er „grundsätzlich eine edle Gesinnung“ gehabt. Stalin sei eigentlich ein „verkappter Imperialist“ gewesen. Schon die russische Revolution unter Lenin dürfe man angesichts der damaligen Verbrechen „keinesfalls unter einem glorifizierenden Stern“ sehen. Holger Catenhusen

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