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Landeshauptstadt: Jahn: Akten der Stasi offen lassen

Innenstadt – Roland Jahn spricht vom „Gewinn“, den die Einsicht in die Akten des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) für jeden Antragsteller bringe. Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen stand am Bürgertag am Samstag in der Gedenkstätte Lindenstraße 54 Rede und Antwort.

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Innenstadt – Roland Jahn spricht vom „Gewinn“, den die Einsicht in die Akten des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) für jeden Antragsteller bringe. Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen stand am Bürgertag am Samstag in der Gedenkstätte Lindenstraße 54 Rede und Antwort. Einen „Schlussstrich unter die Verfolgung von MfS-Mitarbeitern“, wie es ein Fragesteller nannte, könne er nicht befürworten. „Alles muss offen bleiben“, sagt Jahn. „Auch die für das MfS tätig gewesenen Menschen gewinnen dadurch die Möglichkeit, von der Stasi frei zu werden.“

Viele Besucher nutzten die Möglichkeit am Bürgertag, einen Antrag auf Einsicht in ihre Stasi-Akte zu stellen. In der Gedenkstätte besteht an jedem zweiten Dienstag im Monat hierfür die Gelegenheit. Bisher habe die Bundesbehörde 2,8 Millionen Anträge bearbeitet. 111 Aktenkilometer archiviert die Stasi-Behörde. Das sei laut Jahn jedoch nur die Hälfte des tatsächlichen Materials. 16 000 Säcke mit Aktenschnipseln warten noch auf Rekonstruktion; bisher konnten eine Million Blatt zusammengesetzt werden. Das Fraunhofer-Institut Berlin habe ein Verfahren zur virtuellen Rekonstruktion per Computer entwickelt, das eine schnellere Bearbeitung verspreche. Allerdings habe die Behörde nicht die Möglichkeit, Antragsteller über neu aufgefundene Akten zu benachrichtigen. Der Behördenleiter empfiehlt daher, alle paar Wochen einen neuen Antrag zu stellen.

„Ich entnahm aus den Akten, wer mich nicht verraten hat“, berichtete Dieter Drewitz in einem Podiumsgespräch im ehemaligen Gefängnishof der Gedenkstätte. Drewitz, der wegen zweier Briefe an den Westberliner Rundfunksender „Rias“ eine hohe Haftstrafe verbüßen musste, davon fünf Monate Untersuchungshaft in der Lindenstraße 54, hatte 1992 Akteneinsicht beantragt. Als er nach einer Wartezeit von zwei Jahren endlich im Leseraum der Behörde den riesigen Stapel seiner Akten sah, war er überwältigt. Er ließ sich Kopien anfertigen. „Dann saß ich mit 1500 Seiten zu Hause.“ Zwei bis drei Freunde wussten von seinen Rias-Briefen, in denen er sich über die Verhältnisse in der DDR und zur Möglichkeit einer Wiedervereinigung äußerte. Da die Briefe mit einer Deckadresse und falschem Absender versehen waren, musste Drewitz annehmen, dass einer seiner Freunde ihn verraten hatte. Nach dem Studium der Akten stand fest: „Keiner aus dem Freundeskreis hat mich verraten, die haben das alles selber herausgefunden.“ Seit seinem 17. Lebensjahr habe die Stasi seinen Briefwechsel kontrolliert. Auf diese Weise geriet er in die „Schriftprobenkartei“ des DDR-Geheimdienstes. Stasi-Mitarbeiter hätten im Verlaufe von neun Monaten die Schrift der abgefangenen Briefe mit den Proben in der Kartei verglichen und ihn identifiziert. „Daraufhin wurde ich verhaftet.“

Seine Erfahrungen will Dieter Drewitz weitergeben: Insbesondere Schüler würden mit falschen Vorstellungen über die DDR leben, von Eltern und Großeltern nur wenig erfahren. Die Praktiken des MfS, ihre Gefängnisse und die Haftbedingungen seien in der Bevölkerung kaum bekannt. Zur Aufklärung trage die Akteneinsicht bei. Drewitz: „Die DDR war kein Kuschelstaat, sondern eine knallharte Diktatur“. Günter Schenke

Günter Schenke

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