zum Hauptinhalt
Rechtliche Grauzone. Potsdam erlaubt den verkaufsoffenen Sonntag nun per Allgemeinverfügung – laut Experten ist das rechtswidrig.

© Oliver Berg/dpa

Landeshauptstadt: Jakobs verfügt offenen Sonntag

Trotz eines Urteils des Oberverwaltungsgerichtes können Geschäfte am Sonntag öffnen – weil Potsdams Rathauschef Fakten schafft. Gewerkschaft Verdi wirft Jakobs Rechtsbruch und Tricksereien vor

Stand:

Die Shoppingtour an diesem Sonntag in Potsdam wird wohl doch stattfinden können. Die Stadt kündigte am gestrigen Freitagabend an, trotz eines gerichtlichen Verbots am verkaufsoffenen Sonntag an diesem Wochenende festzuhalten. Dazu erließ Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) eine sogenannte Allgemeinverfügung, wonach die Läden in der Landeshauptstadt öffnen dürfen. Zuvor hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg in einem Eilverfahren die allgemeine Verordnung zu den Öffnungszeiten an Sonn- und Feiertagen für dieses Jahr einstweilen außer Kraft gesetzt. Diese Verordnung ist aber laut Landesgesetz Voraussetzung für die Genehmigung verkaufsoffener Sonntage.

Die Stadt begründete die Entscheidung mit dem „herausragenden gewichtigen öffentlichen“ Interesse für die Ladenöffnung (§9 BbgLöG). Dieses sei gegeben, da die Einzelhändler bereits in Werbung investiert hätten und erhebliche Besucherströme erwartet würden.

Ministerium widerspricht Einschätzung

Mit Unverständnis reagierten das brandenburgische Arbeitsministerium sowie die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Ministeriumssprecher Gabriel Hesse nannte das Verhalten der Stadt „ein Unding“. Das Ministerium könne hier aber nichts mehr machen, da die Entscheidung zu kurzfristig bekannt geworden sei. Hesse verwies zugleich auf das OVG-Urteil, dass klar regele, dass „die wirtschaftlichen Umsatzinteressen der Verkaufsstelleninhaber und alltäglichen Erwerbsinteressen potenzieller Käufer“ die Ausnahmen vom verfassungsrechtlich verankerten Schutz der Sonntagsruhe nicht rechtfertigten.

Der Verdi-Sekretär im Bezirk Potsdam-Nordwestbrandenburg, Uwe Diedrich, kündigte am Abend an, „alle juristischen Mittel“ zu prüfen. Dazu gehöre möglicherweise auch ein neuer Eilantrag. „Was die Stadt hier tut, ist der Aufruf zum offenen Rechtsbruch“, sagte er den PNN. Die Verantwortung für die Situation liege allein bei der Verwaltung, fügte er hinzu. „Sie düpiert damit das Gericht und auch das Arbeitsministerium.“ Diedrich warf Jakobs „Tricksereien“ vor. Es sei ein Unding, dass die Stadt versuche, die Rechtsprechung zu umgehen.

Einzelhandel zufrieden

Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen, zeigte sich hingegen zufrieden. Jakobs habe „im Interesse der Stadt und ihrer Gäste gehandelt und das Vertrauen der Kaufleute in die Rechtsordnung wiederhergestellt“, sagte er und fügte hinzu: „Potsdam ist nun das Fanal dafür, dass grundsätzlich über die Öffnungszeiten geredet werden muss.“ Wären die Geschäfte an diesem Sonntag nicht geöffnet worden, hätte der Potsdamer Handel laut Busch-Petersen „mehrere Hunderttausend Euro verloren“. Das Stern-Center kündigte an, auf jeden Fall zu öffnen. Die Händler seien „froh und erleichtert“, dass es jetzt zumindest für diesen Sonntag Klarheit gebe, sagte Manager Christian Frauenstein den PNN. Es seien bereits mehrere Zehntausend Euro für Werbung investiert worden.

Stadtsprecher Stefan Schulz betonte, es gehe Potsdam nicht darum, einen Gerichtsbeschluss zu missachten. Dies sei eine einmalige Ausnahmesituation. Allerdings müssten die Interessen der Händler gewahrt werden. „Sie hatten große Sorgen, auf den Kosten der Waren und Werbung sitzen zu bleiben.“ Er kritisierte zugleich die sehr kurzfristige Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Die Stadtverwaltung respektiere, dass die Verordnung zur den verkaufsoffenen Sonntagen außer Kraft gesetzt sei. Wohl bereits im April werde eine neue Regelung auf den Weg gebracht, die das Urteil berücksichtige, sagte Schulz.

Arbeitsministerium Diana Golze (Linke) betonte, dass Brandenburg nach Berlin das zweitliberalste Ladenöffnungsgesetz habe. Es biete den Kommunen und Händlern einen ausreichend großen Gestaltungsspielraum. So könnten die sechs Sonn- und Feiertage frei gewählt werden. „An dieser Praxis wollen wir auch in Zukunft festhalten“, betonte Golze. Dies setze aber voraus, dass „sich alle Kommunen an das Gesetz halten“. Eine Ausdehnung der verkaufsoffenen Sonntage „dürfen wir nicht billigen“, fügte sie hinzu.

Geschickt ausgebremst

Als eindeutig rechtswidrig bezeichnete der Potsdamer Verwaltungsrechtler Thorsten Ingo Schmidt das Verhalten der Stadt. So würden an die Verfügung „extrem strenge Anforderungen“ gestellt, sagte er den PNN. Die Aufwendungen der Händler für Werbung und die Besucherströme reichten dafür aber nicht aus. „Wir erwarten ja auch keinen Massenauflauf oder eine drohende Panik.“

Allerdings habe die Stadt auch „auf relativ geschickte Art die Kommunalaufsicht ausgebremst“, betonte der Lehrstuhlinhaber an der Uni Potsdam für Öffentliches Recht. Die Allgemeinverfügung sei so spät erlassen worden, dass das zuständige Ministerium nicht mehr reagieren könne. Schmidt zufolge könnte die Landesregierung die Stadt anweisen, die Verfügung aufzuheben. Dazu sei es aber wohl zu spät.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein forderte am Freitag eine Überprüfung des Brandenburgischen Ladenöffnungsgesetzes. Das OVG-Urteil bestärke sie in ihren grundsätzlichen Zweifeln. Gerade wegen der rasanten Entwicklung des Online-Handels stelle sich die Frage, welche Zukunftsperspektiven der Einzelhandel in den Innenstädten künftig haben solle. Das OVG hatte am Freitag die Verordnung der Stadt für insgesamt zehn Sonntagsöffnungen in diesem Jahr im Eilverfahren außer Vollzug gesetzt. Das brandenburgische Landesgesetz sieht aber nur sechs Sonntage pro Jahr vor. Die Gewerkschaft Verdi hatte dagegen geklagt. Das Gericht hatte die Sonntagsöffnung bereits am Mittwoch in einem Zwischenentscheid untersagt.

Dritter Anlauf für mehr Ausnahmen

Die Stadt Potsdam hatte zuvor versucht, für den morgigen Sonntag noch eine Ausnahmegenehmigung zu erreichen, weil sich die Händler schon auf den Verkaufstag vorbereitet hatten. Dies wies das Oberverwaltungsgericht nun ab. Bereits im vergangenen Jahr und 2012 musste sich die Landeshauptstadt dem Druck des Arbeitsministeriums beugen.

Auch im Internet wird intensiv über über die Öffnungszeiten diskutiert. Bei einer Umfrage auf der PNN-Homepage, ob es mehr verkaufsoffene Sonntage geben soll, zeichnete sich allerdings kein eindeutiger Trend ab: 47 Prozent der abgegebenen Stimmen sprachen sich für mehr verkaufsoffene Sonntage aus, 53 Prozent (408 Stimmen) stimmten dagegen. Die Nutzerin Mia Redstar etwa schrieb auf der PNN-Facebook-Seite, dass verkaufsoffene Sonntage ruhig abgeschafft werden könnten. „Denkt wohl keiner an die armen Verkäufer. Gönnt den Verkäufern ihren Sonntag“, meinte sie. „Frau Katrin“ hielt dagegen, dass es vor allem in der Innenstadt Geschäfte gebe, die vom Tourismus leben. Sie schlug vor, dass diese selbst entscheiden müssten, „ob sie sonntags geöffnet haben oder nicht“.

Stefan Engelbrecht

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })