Von Henri Kramer: „Jeden Tag sagt jemand ,Scheiß-Neger‘ zu mir“
Eine neue Broschüre des Vereins Opferperspektive soll zeigen, wie sich Ausländer in Potsdam fühlen
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Herr C. lebt seit mehr als 15 Jahren in einem Einfamilienhaus in einem Potsdamer Vorort – doch nun will er zurück in seine Heimat nach Pakistan. Täglicher Rassismus gegen ihn und seine beiden Kinder sei der Grund für den Entschluss, erklärt Herr C., dessen Hautfarbe dunkel ist. Dass er deswegen angefeindet wird, ärgert ihn zutiefst. „Innerlich kann ich das nicht akzeptieren: Ich bin hier ein Fremder und bleibe auch einer“, so der studierte Dolmetscher über seine Entscheidung, Potsdam zu verlassen.
Die Geschichte von Herrn C. ist eine von sieben Schilderungen in Potsdam lebender Menschen, die der Verein Opferperspektive e.V. jetzt in einer Broschüre der Öffentlichkeit vorstellt. Die in der Ich-Perspektive geschriebenen Texte vermitteln dabei vor allem ein negatives Bild davon, wie es sein muss, als einer von offiziell rund 6800 Einwohnern „mit Migrationshintergrund“ in der Landeshauptstadt zu leben. Vielfach geht es dabei um handfeste Beleidigungen. Die Berichte seien „exemplarisch“ und keine Ausnahmen, sagt Projektleiter Tobias Pieper von der Opferperspektive. Durch die Schilderungen werde deutlich, „wie weit die Vision einer offenen Stadtgesellschaft noch von der Potsdamer Wirklichkeit entfernt ist“. Gleichwohl bescheinigt der in Potsdam ansässige Verein der Stadt und ihren Institutionen eine „Vorbildfunktion“ beim „Umgang mit Rechtsextremismus“ in Brandenburg. So habe etwa die Stadtverwaltung begonnen, sich „interkulturell“ zu öffnen. Außerdem gebe es in Potsdam etliche Initiativen, die sich für eine multikulturelle Stadt einsetzen würden.
Und dennoch steht Alltagsrassismus hier für Migranten auf der Tagesordnung, will die Broschüre zeigen. Ein Beispiel ist Frau W., die mit ihrem Sohn aus Togo fliehen musste, weil sie dort politisch verfolgt wurde. Nun lebt sie am Schlaatz und sagt: „Jeden Tag sagt jemand Scheiß-Neger zu mir.“ Sie versteht diese Beleidigungen nicht, sagt Frau W. und verweist auf eine Nachbarin aus Vietnam, die sich doch auch „mit allen im Haus“ gut verstehen würde. „Aber wenn ich Hallo zu den anderen Nachbarn sage, dann antwortet mir niemand. Warum? Weil ich schwarz bin? Ich weiß es nicht. Ich habe keinen Platz in Deutschland.“
Die Beiträge sind emotionale und brisante Schilderungen, sie handeln von Ängsten und Selbstzweifeln. Der Opferperspektive-Verein hat sie nach eigenen Angaben seit Anfang des Jahres gesammelt, die Namen der Interviewten zu deren Schutz anonymisiert. Doch hier liegt zugleich der Makel der Broschüre: Die Geschichten sind nur anonym, keiner der Interviewten zeigt sein Gesicht oder wenigstens seinen Namen auch öffentlich. Denn wie viel glaubwürdiger würde eine Situation wirken, wie sie Herr C. schildert, der unschlüssig ist, wie er mit seinen Kindern umgehen soll, wenn er nun wieder nach Pakistan zieht. Zum Mitkommen will er sie nicht zwingen: „Dort gibt es ja auch eine ganz andere Sprache.“ Gleichwohl müssten seine Kinder in Potsdam weiter mit Anfeindungen leben. Hilflos wirkt Herr C.: „Aber die Deutschen lassen auch nicht zu, dass sich die Ausländer hier integrieren. Meine Kindern können nur Deutsch, die haben gar nichts Pakistanisches, nur meinen Namen. Wenn die Leute dann sagen, das sind ausländische Kinder, das verstehe ich nicht.“
www.opferperspektive.de
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