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Landeshauptstadt: Jenseits der eigenen Grenzen

Josephin Rösler zieht es für ein halbes Jahr nach Kambodscha – um Tempel zu restaurieren. Morgen geht der Flieger.

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Josephin Rösler zieht es für ein halbes Jahr nach Kambodscha – um Tempel zu restaurieren. Morgen geht der Flieger. Von Guido Berg Für den Sprung ins kalte Wasser sei sie nicht der Typ – genau deshalb werde sie ihn jetzt wagen: Am morgigen Mittwoch hebt die Maschine ab, die Josephin Rösler um die halbe Welt fliegt. Nach Kambodscha. Die 24-jährige Potsdamerin mit den diamantblauen Augen („keine Kontaktlinsen“) wird in der Tempelanlage von Angkor Vat als Restaurateurin arbeiten. Ein knappes halbes Jahr lang wohnt sie im eigens für studentischen Helfer eingerichteten deutschen Haus und hilft neun Stunden am Tag, Wandgemälde zu retten. Angkor ist die ehemalige Residenz- und Tempelstadt der Khmer-Könige und stellt für die Studentin des Hildesheimer Instituts für Restaurierung und Konservierung „eine ganz andere Welt“ dar. Und natürlich „die absolute Herausforderung“. Zum ersten Mal ist sie eine längere Zeit im Ausland – und dann gleich in Kambodscha. Denn eigentlich besitze sie „so ein gewisses Phlegma“, sie suche nicht ständig die Veränderung. Sie bezeichnet sich als „eher bodenständig“, sie sei „ziemlich verwurzelt in Potsdam“. Andererseits, überlegt sie, „setzt man sich selbst Grenzen, die immer etwas zu eng sind“. Der Mensch sei zu mehr in der Lage, als er sich zutraue. Josephin Rösler will wissen, wo ihre Grenzen sind. Die wirklichen, nicht die, die durch einen Mangel an Zutrauen gesteckt werden. Vielleicht, philosophiert sie weiter, falle ihr nach überstandener „Horizont-Erweiterung“ („ein abgedroschener Begriff, ich weiß, aber er trifft es ziemlich gut“) alles andere im Leben viel leichter. Außerdem: Sie wird alles hinter sich lassen, einmal richtig raus sein aus den hiesigen Verhältnissen. Dass sie zur Bundestagswahl am 18. September auf der anderen Seite der Erdkugel weilt, ist ihr nur recht: Sie wüsste nicht, welche Partei sie wählen sollte. Politisch bezeichnet sie sich als „neutral“. Ihr Grund dafür ist schlicht: „Mir geht es gut“. Sie bekomme „gut Bafög“, in den Semesterferien jobbe sie als Restauratorin, im letzten Jahr arbeitete sie in Bayern. Dort, im Süden Deutschlands, sieht sie auch ihre berufliche Zukunft, denn in der Berliner Region gebe es zu viele Restaurateure, die für viel zu wenig Geld arbeiteten. Mit Ost-West-Gegensätzen hat die junge Frau nichts mehr am Hut: „Ich bin kein richtiges DDR-Kind“. Im Wendeherbst 1989 war sie acht Jahre alt. Damals bedauerte sie, dass sie das rote Halstuch der Thälmann-Pioniere nicht mehr bekam. Darauf habe sie sich zu jener Zeit sehr gefreut. Heute weiß sie um ihre Lebensmöglichkeiten und sie genießt sie. Im März war sie eine Woche in Florenz. Italien sagt sie, ist für ihr Spezialgebiet – die Wandmalerei – das Paradies. Die fangen an, restaurieren, werden fertig – und fangen wieder von vorn an. „Da ist soviel Substanz.“ Aber auch in Potsdam gebe es noch viele alte Bauwerke, die restauriert werden müssten. Den Wiederaufbau von Stadtschloss und Garnisonkirche lehnt sie ab. Es wären ja doch nur „reine Neubauten“. Früher sei sie viel geritten, wofür jetzt das Geld fehle. Dennoch sei sie „sehr unsportlich“. Dafür sei „Kunst total mein Ding“ und sie lese viel, im Augenblick zum Beispiel Douglas Adams'' Kultroman „Per Anhalter durch die Galaxis“. Ein weiterer Literaturtipp von Josephin Rösler: John Irvings Roman „Witwe für ein Jahr“. In der Malerei des Barock schwärmt sie von Caravaggio. Hier offenbart sich eine mögliche dunkle Seite der blonden jungen Frau: Einmal, da sah sie in einem Bildband ein „ganz tolles Gemälde“. Es heißt „Judith und Holofernes“. Judith ist just dabei, dem bärtigen Holofernes mit einem Langdolch den Kopf abzuschneiden. Das Blut spritzt gewaltig. Was der Studentin gefällt, ist Judiths Gesichtsausdruck während der Tat: „Sie wirkt so angewidert“. Aber an die Wand hängen würde sie sich lieber ein Bild des Malers Paul Klee. Der benutzt schöne Farben, nicht so schrille, eher gedeckte Töne. Im Augenblick bewohnt sie eine Wohngemeinschaft zusammen „mit zwei Jungs“ („das klappt ganz prima, wir sind gut befreundet“). Doch wenn sie einmal eine eigene Wohnung hat, werde sie maximal nur eine Wand in einem „Knallton“ anmalen, die anderen jedoch mit gedeckten Farben, denn „schrille Töne machen mich kirre.“ Josephin Rösler ist eine junge Frau mit Sinn für Ästhetik, sie ist erfrischend unideologisch und besitzt eine gesunde Klugheit, die vor einer Notlüge nicht zurückschreckt: Sie ist katholisch getauft, praktiziere den Glauben jedoch nicht. „Aber ich werde einen Teufel tun, aus der Kirche auszutreten, wenn ich später “mal in Bayern Arbeit finden will“.

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