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Palliativstation in Potsdam zu Weihnachten: „Jetzt geht es zu Ende“
Weihnachten auf einer „Sterbestation“ ist keine schöne Vorstellung. Nach Möglichkeit werden die Patienten über die Tage nach Hause geschickt. Doch das ist nicht immer möglich
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Potsdam/Berlin - „Über Weihnachten sollten Sie zu Hause sein“, sagt Georg Maschmeyer der an einer Knochenmarkerkrankung leidenden Patientin von Mitte 70. „Dann fangen wir im Januar wieder an.“ Er fügt beruhigend hinzu: „Wenn’s schlechter wird, können Sie sich ja hier wieder melden.“ Maschmeyer ist Leiter der Palliativstation am Bergmann-Klinikum in Potsdam, einer Station, auf der schwer kranke Menschen betreut werden.
Palliativmedizin ist ein junger Medizinzweig. Als vor zehn Jahren erste Lehrstühle eingerichtet worden seien, habe man Mühe gehabt, sie zu besetzen, erzählt Maschmeyer. Man habe sich langsam vorgetastet, quasi „learning by doing“. Inzwischen hat sich viel geändert – nicht zuletzt, weil die alternde Gesellschaft konkreter wird. Palliativmedizin wird als sektorenübergreifend verstanden. Krebsspezialist Maschmeyer ist Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin. Studien zeigten, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Krebs- und Palliativmedizin lebensverlängernd auf die Patienten auswirken könne.
"Im Vordergrund steht immer Krebs, Krebs, Krebs"
„Ich finde, dass man mit Krebs unmenschlich umgeht. Im Vordergrund steht immer Krebs, Krebs, Krebs. Aber auf den Menschen wird nicht eingegangen“, sagt die Mittfünfzigerin Inge B.*, die nach ihrer Krebstherapie auf die Palliativ-Station der Charité im Wedding verlegt wurde. Sie scheint diese Studien zu bestätigen. „Ich war nur am Brechen.“ Hier werde sie menschlich und medizinisch besser betreut, könne wieder schlafen. „Es ist wichtig für mich, fit zu sein.“ Denn sie wolle sich, wenn es gehe, nochmals einer Chemotherapie unterziehen.
Der Leiter der Palliativ-Station an der Charité, Peter Thuß-Patience, erläutert, es sei eine Möglichkeit der Zusammenarbeit, auf der Palliativ-Station Kraft zu sammeln, um sich wieder einer belastenden Therapie zu unterziehen. Das Spektrum reiche heute von hochspezialisierten Eingriffen zur Linderung der Beschwerden bis hin zur rein medikamentösen und begleitenden Pflege und Fürsorge, erklärt Thuß-Patience. Palliativmedizin ist also keineswegs nur reine Sterbebegleitung.
Viel Geduld
Auf der Potsdamer Palliativ-Station scherzt Maschmeyer mit einer Patientin: „Sie haben die Haare schön.“ Über das blasse Gesicht der mehrfach an Krebs erkrankten 75-Jährigen huscht ein Lächeln: „Ja, ich war gerade beim Friseur.“ Und ja, sie werde gut betreut. Wenn nur das Wasser in den Knien nicht wäre. Sie hebt die Decke. Maschmeyer kontrolliert die Knie und sagt: „Ich glaub schon, dass wir das hinkriegen.“ „Schön, das macht mir Mut“, sagt die zierliche Frau. „Erst mal darf ich hier noch bleiben?“, fragt sie und Maschmeyer deutet in Richtung Oberarzt: „Bestimmt, wenn Sie ihn bezirzen.“
Nach den Belastungen einer langen Krebsbehandlung können Patienten auf der Palliativ-Station zur Ruhe kommen. Es kehrt Lebensmut zurück und der Wunsch, wieder gegen den Krebs zu kämpfen. Nicht immer macht es Sinn. Obwohl der Palliativmediziner die Chancen für aussichtslos und die Qualen für massiv hält, versuchen Angehörige manchmal trotzdem alles, um die Therapie fortzusetzen. Ihre Verzweiflung richtet sich dann auch gegen den Arzt. „Da braucht man viel Geduld“, sagt Maschmeyer.
Lebensende ist nicht planbar
Der 61-jährige Mann auf der Potsdamer Palliativ-Station hat Blasenkrebs und Herzschwäche, war starker Raucher und hatte mit 40 den ersten Herzinfarkt. Plötzlich hört er auf zu atmen – um nach geraumer Zeit röchelnd wieder Luft zu bekommen. Seine Frau sitzt am Bett. Maschmeyer spricht ruhig: „Jetzt geht es zu Ende.“ Die Frau weint. „Brauchen Sie Unterstützung? Soll ich einer Schwester Bescheid sagen?“ Die Frau weint, schluchzt leise. „Danke, dass Sie da sind“, sagt Maschmeyer im Rausgehen.
„Das Ende des Lebens können Sie nicht planen. Sie wissen nicht, wie es Ihnen geht. Es gibt Fälle, da ist die Unterschrift unter der Patientenverfügung noch nicht trocken, da wollen sie es schon anders haben“, erzählt er. Zum Beispiel Nierenversagen, ein relativ milder Tod. Selbst dann kommt der Wunsch auf, an die Dialyse angeschlossen zu werden. Eine Patientenverfügung ist zwar in Ordnung, aber eigentlich gelte zu erkennen, was der Patient will – „hier und jetzt“, sagt Maschmeyer.
Im Zimmer nebenan sitzt die 75-jährige Frau fast aufrecht im Bett, mit offenem Mund röchelnd. Sie dämmert, liegt im Sterben. Ihre Tochter sitzt am Bett: „Bitte, Herr Doktor, sie soll keine Schmerzen haben.“ Die Tochter weint. „Es geht zu Ende“, sagt sie. Papa liege auch im Krankenhaus. Das belaste die Familie schon.
Auch Angehörige werden hier betreut
Zur Palliativversorgung gehört, Angehörige von Sterbenden zu betreuen und zu beraten. Wenn sie wollen, können sie im Patientenzimmer einziehen. Bevor Maschmeyer und Stations-Oberarzt Benjamin Günther zur Visite gehen, wird die familiäre Situation besprochen. Maschmeyer schätzt, dass jede zweite Familie ihre sterbenden Angehörigen nicht zu Hause pflegen kann. Weil sie alleinstehend sind, berufstätig, Kinder zu versorgen haben oder die Familie zerstritten ist.
Der Tumor hat mehrere Organe der 84-jährigen Patientin befallen. Zudem hatte sie einen kleinen Schlaganfall. Maschmeyer scherzt mit der Frau, sagt aber auch: „Das können wir nicht heilen. Das wird fortschreiten. Wir versuchen das Fortschreiten zu behindern, aber nicht, den Tumor zu bekämpfen.“ Die Patientin ist gefasst. Sie soll ins Hospiz. „Die machen da ganz viel mit Ihnen“, sagt Maschmeyer. „Das ist besser, als wenn Ihnen keiner hilft.“ Es entsteht eine Pause. „Dann werden Sie irgendwann mal nicht mehr aufwachen.“ Die Patientin weint. „Irgendwann muss es sein“, sagt Maschmeyer und versucht – trotzdem – zu trösten. „Wir wollen nichts machen, was Sie ohnehin nur belastet.“
Zu Hause sterben
Vor der Tür sagt Maschmeyer auf die Frage, wie es ihm nach so einem Gespräch gehe, ohne zu zögern: „Gut.“ Es sei „glasklar, dass sie keine Chance hat. Sie trauert. Das will keiner: Sterben. (...) Ich halte es für richtig, mit Patienten realistisch zu besprechen, wie es ist“, argumentiert Maschmeyer, der seit 2011 in der Ethik-Kommission der Bundesärztekammer sitzt.
Kommt keine belastende Therapie infrage, sollen sie palliativ so weit stabilisiert werden, dass sie zu Hause sterben können. Trägt das häusliche Umfeld nicht, sollen sie in einem Hospiz betreut werden. Seine Station hat acht Betten, zehn wären auch in Ordnung. Aber mehr braucht es nicht, sagt Oberarzt Günther. Ein Versorgungsrückstau entstehe eher durch die schleppende Verlegung in Hospize. Dort fehlen Plätze – im Potsdamer Raum könnten es 50 Prozent mehr sein, sagt Maschmeyer.
Der Wunsch zu sterben
In seinen 34 Berufsjahren sei er noch in keinem Fall gebeten worden, Beihilfe zur Selbsttötung zu leisten, sagt der Chefarzt. Hinter dem Wunsch zu sterben, stecke in aller Regel der Wunsch, unter diesen Bedingungen nicht mehr leben zu wollen. Mehr als 90 Prozent dieser Fälle könne man heute auffangen. Können Schmerzen nicht mehr gelindert werden, dürfe der Patient mit Morphinen, Beruhigungs- oder angstnehmenden Mitteln soweit sediert werden, dass eine Verkürzung der Sterbephase in Kauf genommen werden könne.
Wenn der Tod kommt, braucht der Sterbende Fürsorge. Fürsorge braucht Zeit – und viel fürsorgliches Pflegepersonal. Thuß-Patience von der Charité sagt: „Personal, das ist sicherlich ein ganz, ganz wichtiger Punkt.“ Die Palliativstation der Charité betreut mit ihren zehn Betten im Jahr 300 Patienten. Ein Drittel stirbt dort.
In diesen Tagen ist die Palliativstation der Charité zurückhaltend mit Weihnachtsdeko geschmückt. Für viele der Patienten ist das Fest eine schwierige Zeit, hier im Krankenhaus. Inge B. erzählt, kurz vor Weihnachten sei damals auch ihre Schwester am Brustkrebs verstorben. „Dann kriegt man schon ein bisschen ...“, sie stockt. Dann sagt sie: „Man merkt sowieso nicht, wenn das Herz nicht mehr schlägt.“ Nach einer kurzen Pause: „Ich will noch bei meinen Töchtern bleiben.“ Inge B. darf über Weihnachten nach Hause.
*) Namen von der Redaktion geändert
Ruppert Mayr
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