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Die Potsdamer Studentin Janina Wurbs lebte ein halbes Jahr in New York, um sich ausgiebig der Klezmer-Musik widmen zu können
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Der Rucksack sieht aus, als würde er mindestens so viel wiegen wie seine Trägerin. Laptop, zahlreiche Bücher, Mitschriften, ihr Aufnahmegerät und der Fotoapparat – Janina Wurbs wirkt wie ein personifiziertes Archiv. Doch die Studentin der Jüdischen Studien ist nicht einfach ein Messie wissenschaftlichen Gedankenguts. Tatsächlich hängt ihre Sammellust mit ihren wissenschaftlichen Vorlieben zusammen. Die 24-Jährige begeistert sich für jiddische Kultur und insbesondere für jiddische Musik – für eine vorwiegend akustische Kultur also, die nur dann tradiert und analysiert werden kann, wenn sie aufgezeichnet, mitgeschnitten und studiert wird.
Seit einiger Zeit ist Janina Wurbs wieder in Berlin – und doch auch wieder nicht. Sieben Monate lebte sie in New York und möchte, so bald es geht, wieder dorthin zurück. Durch die Jewish Music List war Janina Wurbs im September letzten Jahres auf eine Anzeige gestoßen: für die 85-jährige Beyle Schaechter-Gottesman wurde eine Mitbewohnerin gesucht. Die Studentin, die von sich behauptet, weder kochen zu können, noch sich ernsthaft für Haushaltsangelegenheiten zu interessieren, hat sich umgehend beworben. Denn die Chance war einmalig: Beyle Schaechter- Gottesman ist die wohl derzeit berühmteste jiddische Dichterin und Sängerin. Im September 2005 erhielt sie den renommierten National Endowment for the Arts-Prize, die höchste Auszeichnung, die in den USA an Volkskünstler verliehen wird, eine Art Nobelpreis für traditionelle Kunst.
Anders als viele ihrer Freunde in Berlin und New York ist Janina Wurbs selbst keine aktive Klezmer-Musikerin, ihr Interesse an der Musik ist ein entschieden wissenschaftliches, was die schlichte Begeisterung für das Forschungsthema natürlich einschließt. Als sie 2001 anfing, Jüdische Studien zu studieren, kam auch der Musikwissenschaftler Aaron Eckstaedt an die Universität Potsdam. Janina Wurbs hatte sich vorher kaum für jüdische Musik interessiert. Sie gehörte aber zu den wenigen Studierenden, die ein Instrument spielen und Noten lesen können und war von der theoretischen und praktischen Einführung in die Welt des Klezmer augenblicklich begeistert.
Aus der Begeisterung erwuchsen ein Referat und eine Hausarbeit und schließlich das Thema zur Zwischenprüfung. Seit 2003 besucht sie regelmäßig als Zaungast die Klezmerwochen in Weimar, ein internationales Symposium für Musiker und Musikinteressierte. Hier kann sie ihre Forschungen zur Vielfalt der Klezmerbegriffe im Klang und in der Präsentation in so adäquater Weise fortführen, dass sie in der Szene längst als Spezialistin gilt. Kaum eine kennt sich so gut in den verschiedensten osteuropäischen Stilistiken des jüdischen Liedes aus wie sie, die sich besonders für die Zusammenhänge interessiert, in denen diese Musik entstand und in denen sie sich aktuell weiter entwickelt.
In New York kam die Dimension der jiddischen Sprache hinzu. Während an der Universität ein vereinheitlichendes Standardjiddisch unterrichtet wird, konnte sie hier die praktizierte Sprache lernen. Und noch ein anderer Schatz war täglich um sie. „Ich habe in einer jiddischen Bibliothek gewohnt“, erzählt die zierliche Frau schmunzelnd, und es ist ihr anzusehen, dass sie auch deshalb zurück will, um all die Bücher zu lesen, für die die Zeit nicht genügte. Für ihre spezifischen Interessen war New York „das Traumpflaster“. Jüdische Kultur gibt es dort in allen nur erdenkbaren Varianten, in den Synagogen orthodoxer Chassidim konnte sie Nigunim, den religiösen chassidischen Liedern, lauschen und an einem anderen Tag 20 Jahre Klezmatics im Konzert feiern.
Nur die spärlichen finanziellen Mittel setzten ihr Grenzen, da sie mit ihrem Touristenvisum keine Arbeit annehmen durfte. Das hat sie allerdings nicht daran gehindert, im weltweit größtem jiddischen Musikarchiv, das Teil des Yidisher Visnshaftlekher Institut ist, ein Praktikum zu absolvieren und für den Forverts, eine jiddische Wochenzeitung, eine Hand voll Artikel zu schreiben. In Berlin arbeitet sie derzeit an einem Online-Lexikon aller Forverts-Autoren ab Ende der 80er. Wenn es ihr gelingen sollte, nach ihrem Studienabschluss ein Stipendium für ihre Forschungen zu bekommen, könnte es sein, dass sie dann auch einen Aufsatz über sich selbst verfassen muss. Denn daran, dass sie bald wieder mit ihrem Rucksack durch die Straßen New Yorks schlendern und weiter über ihre Entdeckungen auch im Forverts schreiben wird, besteht kaum ein Zweifel. Lene Zade
Lene Zade
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