Landeshauptstadt: Jobcenter setzt auf Streitschlichter
Potsdamer Hartz-IV-Behörde reagiert auf Klagewelle: Neues Beschwerdemanagement wird zunächst bis Jahresende getestet
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Angesichts der seit Jahren anhaltenden Klagewelle von betroffenen Potsdamern gegen Hartz-IV-Bescheide führt das Jobcenter ein neues System ein, damit Beschwerden künftig nicht mehr gleich vor dem Sozialgericht landen. Sogenannte Bescheid-Erklärer und eine neue Schiedsstelle sollen sieben Jahre nach Einführung der Hartz-IV-Gesetze auch dafür sorgen, Vertrauen von unzufriedenen Kunden in die Entscheidungen des Jobcenters zurückzugewinnen, wie Behördenleiter Frank Thomann am Dienstag vor Journalisten erklärte.
Wie berichtet hatte das Jobcenter allein im vergangenen Jahr für juristische Auseinandersetzungen rund 273 000 Euro ausgegeben. Auch Sozialämter in anderen Kommunen waren in den zurückliegenden Jahren von einer Klagewelle gegen Hartz-IV-Bescheide überrollt worden: Die Berechnungen der Behörden gelten als fehleranfällig, weil die Hartz-Gesetze nach Expertenansicht handwerklich mangelhaft und bürokratisch aufgebläht sind. So hatte das Potsdamer Jobcenter nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr von 1100 Klageverfahren in knapp 650 Fällen – also mehr als die Hälfte – verloren. Thomann sagte, selbst Experten hätten noch Schwierigkeiten, sofort jeden Hartz-IV- Bescheid zu verstehen – diese seien oft sehr lang und wegen der komplexen Rechtslage kompliziert formuliert. „Die Bürger fühlten sich manchmal allein gelassen“, räumte Thomann ein.
Mit einem Mitte Juni gestarteten zweistufigen System sollen die Bescheide nun besser erklärt werden, um Streit zu vermeiden. So können Betroffene, die die Post aus dem Jobcenter nicht verstehen, bei den Bescheid-Erklärern ohne vorherige Terminvereinbarung ihre Fragen stellen. Auch Widersprüche könnten bereits in dieser Stufe bearbeitet werden. So seien innerhalb von sieben Wochen von 38 angedrohten Widersprüchen bereits 30 nach einem ersten Gespräch wieder zurückgezogen worden, sagte Thomann. Er betonte, die Betroffenen würden nicht unter Druck gesetzt – es werde also nicht versucht, die Kunden zu überreden, ihre Widersprüche fallen zu lassen.
Eine zweite neue Form der Konfliktschlichtung ist laut Jobcenterchef Thomann eine ihm direkt unterstellte Schiedsstelle. Dort würden juristisch geschulte Fachkräfte die strittigen Bescheide in Einzelgesprächen mit den Betroffenen durchgehen. Innerhalb eines Monats hätten sich damit zehn von 35 übernommenen Fällen erledigt. Insgesamt habe die Zahl der Widersprüche im August bei 317 gelegen – 45 weniger als noch im Vorjahresmonat.
Das neue Beschwerdemanagement soll zunächst bis Ende des Jahres getestet werden, sagte Thomann – denn für seine Behörde bedeute das neue System auch mehr Arbeit. Gleichzeitig könnten aber durch einen Rückgang bei der Zahl verlorener Klagen Geld für juristische Auseinandersetzungen gespart werden. So koste ein verlorenes Klageverfahren mit vorherigem Widerspruch rund 800 Euro, hieß es. Thomann betonte, er erhalte bereits viele positive Rückmeldungen zu dem neuen System. Er hoffe, die Zahl der Widersprüche um bis zu 20 Prozent senken zu können. Auch insgesamt habe sich die Zufriedenheit mit dem Jobcenter erhöht. Dazu führt die Behörde regelmäßig anonyme Umfragen unter ihren Kunden durch. Diese hätten das Jobcenter vor einem Jahr noch mit der Schulnote 2,6 bedacht, sagte Thomann. Inzwischen habe sich dieser Wert auf 2,5 verbessert. Für das neue Beschwerdesystem seien mehrere Zimmer im Jobcenter am Horstweg farbig gestaltet worden, um eine angenehme Atmosphäre zur Beilegung von Konflikten um Hartz-IV-Bescheide zu schaffen, hieß es weiter.
Zur Jahreshälfte betreute das Jobcenter in Potsdam rund 9000 Haushalte, die das sogenannte Arbeitslosengeld II beziehen. Den Bürgern, die neu in dieses System kommen und die dafür einen langen und komplizierten Antrag ausfüllen müssen, will das Jobcenter den Einstieg erleichtern. Laut Thomann kann das Arbeitslosengeld II nun auch beim Service-Telefon des Potsdamer Jobcenters unter Tel.: (0331) 880 61 00 beantragt werden. Seit Mitte Juni sei dieses neue Angebot in rund 200 Fällen genutzt worden.
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