Landeshauptstadt: Journalesisch
Junge Journalisten aus Europa zu Gast beim M 100 Jugend Medien Workshop in Potsdam
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Die einhundert einflussreichsten Journalisten werden erst Ende der Woche zum „großen“ M 100-Treffen erwartet. Zuvor kamen 34 junge Berufsneulinge, alle um die zwanzig, aus zwölf europäischen Ländern in die Stadt, um über den „Dialog zwischen den Kulturen“ zu diskutieren. Welche ethischen Richtlinien gibt es für Journalisten?
Am Freitagabend saßen die Teilnehmer müde und hungrig von der Anreise an eingedeckten Dinner-Tischen im Kutschstall am Neuen Markt. Bevor das Brandenburger Buffet einen ersten Eindruck des Gastgeberlandes vermitteln durfte, waren Reden und eine Podiumsdiskussion zu verdauen. Jann Jakobs hoffe, das Jugendtreffen könne zu einer West-Ost-Medienbrücke werden. Potsdam habe schon immer Menschen angezogen, um hier die zentralen Fragen der Gesellschaft zu erörtern, so der Oberbürgermeister.
Journalisten haben selten Gelegenheit, über ihre Profession zu reden. Ihr Job ist es schließlich zuzuhören. Aber wenn, dann tun sie es mit Hingabe. Das klingt dann immer ein wenig heroisch. Hans-Ulrich Jörges vom Stern brachte die spitzesten Bonmots hervor. Er bewundere die jungen Zuhörer, wie sie eine langweilige Diskussion verfolgten. „Aber das ist, was sie die nächsten 50 Jahre auch tun werden.“ War das nicht der Zynismus, vor dem die Philosophin Susan Neiman vom Potsdamer Einsteinforum warnte? Dem Journalisten, aufgerieben zwischen kommerziellen Druck und den politischen Interessengruppen, bleibt, so Jörges die, goldene Regel: „Nach einer Diskussion zuerst einen Gin-Tonic an der Bar.“
Die jungen Gäste sind noch keine bekannten Kolumnisten wie Jörges. Wie Ido Liven aus Israel, 26, der als Freelancer arbeitet. Er nimmt als Stipendiat der Quandt-Stiftung teil, die M 100 ermöglicht. Michael Geffken vom Verband der deutschen Zeitschriftenverleger, der zusammen mit Moritz van Dülmen (ehemals Kulturhauptstadt 2010) die Idee für das „junge“ M 100 ausheckte, hofft, dass sich zwischen den viel versprechenden jungen Leuten ein europaweites Netzwerk bildet, von dem man später profitiert.
Von Potsdam und seiner Geschichte bekommen die Nachwuchsjournalisten wenig mit. Das Programm für das Wochenende, sagt Ido, sei eng gestrickt, aber „spannend“. Drei Stunden Workshop am Samstag, danach Besuch im Fernsehstudio der Deutschen Welle für die arabischen Länder. Später sitzt man auf einem Schiff der Weißen Flotte, draußen ist es stockdunkel, man hat wieder Hunger. Wie am Vorabend reden gestandene Journalisten-Profis zu ihnen. Wie zuvor, plaudern sie aus der Sicht des Blattmachers. Christoph Amend von der Wochenzeitung „Die Zeit“ erzählt, was er beim Interview mit Henry Kissinger erlebt hat. Ari Rath, ehemaliger Herausgeber der englischsprachigen Jerusalem Post, war dabei, als Israels Präsident Ben Gurion vor fast 50 Jahren in New York auf Kanzler Adenauer traf. „Wir Journalisten reden alle eine Sprache“, frohlockt der 82-jährige Rath, „ich nenne sie Journalesisch!“
Mag sein, aber für ein Gespräch ist bei seiner Erinnerungsdichte kaum Zeit. Die jungen Erwachsenen drängen eigentlich mit eigenen Ideen. Viele arbeiten in den neuen Medien. Die gute alte Zeit mit Festanstellung und intensiver Recherche, von der hier immer die Rede ist, gibt es für sie nicht mehr. Ein Däne möchte deshalb selbst ein Magazin herausgeben. Er bittet Amend um Tipps. „Man braucht Investoren, die drei Jahre das Heft finanzieren, danach sollte man verkaufen, wenn man Profit machen möchte“, rät der. Jakub aus Polen, Inga aus Lettland, Niringa aus Litauen und Patrik aus Ungarn sind eigentlich nach Potsdam gekommen, um ihr Onlineprojekt www.easternmag.eu vorzustellen. „Wir wollen damit erreichen, dass die neuen EU-Länder irgendwann von unserer Generation als gleichberechtigt angesehen werden“, sagt Inga. Ab Oktober haben junge Journalisten die Möglichkeit, hier online zu publizieren. Denn: „In unseren Ländern ist der klassische Journalismus tot“, lautet Ingas nüchternes Fazit. Dort gäbe es keine unabhängige Presse mehr, von den Honoraren könne man nicht leben. Und immer weniger würden Zeitung lesen. Dialog der Kulturen? Der M 100 Jugend Medien Workshop musste offenbar zunächst dazu dienen, zwischen den unterschiedlichen Journalisten-Generationen zu vermitteln.
Matthias Hassenpflug
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