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Von Henri Kramer: Jugendamt rückt öfter aus

Mehr Fälle gefährdeter Kinder in Potsdam / Analyse erstellt, ob Behörde Kinderschutz gewährleistet

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Das Potsdamer Jugendamt muss sich zunehmend mit Fällen beschäftigen, bei denen das Wohl von Kindern gefährdet sein könnte – und stößt damit offenbar an personelle Grenzen. Aktuell müssen Mitarbeiter der Behörde jeden zweiten Tag einem Fall nachgehen, bei denen Eltern nicht mehr allein für das Wohl ihres Kindes sorgen können. Die Statistik dazu hat die Stadtverwaltung nach Anfrage der Wählergruppe Die Andere mitgeteilt. Demnach hat es bis zum 31. Mai innerhalb eines Jahres 187 Fälle gegeben, in denen das Jugendamt sogenannte Hilfen zur Erziehung gewährt haben. Diese Angebote – von Beratung bis Kinderheim – stehen Eltern zu, wenn sie überfordert sind, ihre Söhne und Töchter zu erziehen.

Damit hat sich in Potsdam die Zahl der bekannt gewordenen Fälle möglicher Kindeswohlgefährdung in den vergangenen Jahren deutlich erhöht. So hatte die Verwaltung für das Jahr 2006 noch von rund 100 Fällen gesprochen, in denen Mitarbeiter des Jugendamts wegen gefährdeten Kindern eingreifen mussten. Im Jahr darauf stellte die Behörde allerdings ihre Strukturen neu auf, seitdem arbeiten die Angestellten in Teams über das Stadtgebiet verteilt und näher an den Bürgern.

Die steigende Zahl der Warnmeldungen von Bürgern über mögliche Kindeswohlgefährdung stellt die Behörde offenbar vor Personalprobleme. So hat die Verwaltung aktuell eine Studie erstellen lassen, ob das Jugendamt seinen Kinderschutzauftrag noch wahrnehmen kann. Nach der Sommerpause soll das Ergebnis der Analyse feststehen – doch gibt es nach PNN-Informationen bereits jetzt viele Indizien, dass im Jugendamt nicht genügend Personal vorhanden ist. Eine entsprechende Anfrage dieser Zeitung konnte gestern nicht beantwortet werden. Doch die wenigen offiziellen Angaben, die es über die Belastung der Jugendamtsmitarbeiter im Bereich Kinderschutz gibt, klingen vielsagend.

Demnach beschäftigen sich 8,6 Sozialarbeiterstellen mit dem Thema. Diese mussten laut der Verwaltungsantwort innerhalb eines Jahres insgesamt 284 Verdachtsfälle bearbeiten. „Nach Eingang einer solche Meldung muss diese mindestens von zwei Sozialarbeitern geprüft werden“, so die Verwaltung. Auch bei folgenden Familienbesuchen sollten zwei Angestellte eingesetzt werden – dies sei ein „hoher personeller und zeitlicher Aufwand“, heißt es weiter. Und nach jedem Besuch sei das Verfahren – auch bei einem bloßen Verdachtsfall ohne Gefährdung – „sehr präzise“ und damit „aufwändig“ zu dokumentieren. Ob dies alles in jedem Fall so passieren kann, blieb gestern offen. Fragesteller Lutz Boede von der Wählergruppe Die Andere vermutet das Gegenteil: „Wir haben Hinweise, dass die Mitarbeiter des Jugendamts nicht hinterherkommen.“

Das Thema Kindeswohlgefährdung gilt als äußert sensibel. Zuletzt hatte der Fall einer 13-Jährigen in Lübbenow für Aufsehen gesorgt, die dort über Jahre von ihren Eltern versteckt worden sein soll. In Potsdam hatte vor rund einem Jahr der Suizid einer Mutter für Entsetzen gesorgt, die sich mit ihrer dreijährigen Tochter von einem Hochhaus stürzte. Damals hatte besonders die Polizei und die behandelnden Psychologen des Klinikums Ernst von Bergmann in der Kritik gestanden, weil sie einen ersten Suizidversuch der Mutter mit ihrem Kind nicht an das Jugendamt meldeten. Eine Mitarbeiterin des Amtes hatte sich so nicht entsprechend auf ein Gespräch mit der Mutter vorbereiten können – und deren Zustand nicht bemerkt.

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