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92 Studentenfilme eröffnen auf dem diesjährigen Filmfestival „Sehsüchte“ neue Perspektiven

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Jeder kann in Amerika etwas werden, jeder seinen Traum verwirklichen. Das habe ihm sein Vater mitgegeben, sagt der junge Entertainer in Las Vegas. Das nimmt man ihm auch ab, er hat ein festes Ziel vor Augen. Doch dann sieht man, wie er in einem Altersheim alte Hits nachträllert. Der Dokumentarfilm „Vegas“ von Lukasz Konopa schneidet Anspruch und Wirklichkeit knallhart gegeneinander. Ein bedrückendes Las Vegas ist das. Am Anfang sagen einige recht einfache Menschen, dass dies die beste Stadt der Welt sei. Doch dann lernen wir einen Mann kennen, der in der Kanalisation lebt, einen Polizisten, der Wohnungsräumungen vollstrecken muss (manchmal 70 am Tag!) und eben den jungen Mann, der von einer täglichen Show auf einer großen Vegas-Bühne träumt. Am Ende sieht man ihn alleine Klavier spielen, der Obdachlose findet seine Katze wieder und der Polizist fügt sich in sein Schicksal. Doch gesehen haben wir in den 25 Minuten eigentlich nur Verlierer. Ende offen.

„Vegas“ ist einer von 92 Filmen, die ab kommenden Mittwoch auf dem diesjährigen Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) zu sehen ist. 43 Studierende der HFF haben an der Verwirklichung des 43. Internationalen Studentenfilmfestivals mitgewirkt, das vom 30. April bis 4. Mai im Rotorkino auf dem Studiogelände Babelsberg und in der nahe gelegenen Filmhochschule stattfindet. Das Festival gilt als Größtes seiner Art in Europa, im Vorjahr hatte man rund 7000 Gäste. Das will man auch 2014 erreichen. Der Fokus liegt in diesem Jahr auf Grenzüberschreitungen, sagte Programmmacherin Ann-Fleur Praetorius zum Pressescreening am Donnerstag. „Transit“ heißt der Filmblock, es werden Landesgrenzen von Flüchtlingen überschritten, Geschlechtermerkmale gewandelt und die Grenzen zwischen den Filmgenres verwischt. Das Wandelbare, das sich Wandelnde wird hier zum Objekt der Betrachtung.

Der ehemalige Berliner Tatort-Kommissar Dominic Raacke, der in diesem Jahr der Sehsüchte-Jury für lange Spielfilme angehört, war vor allem davon überrascht, welche große Bedeutung das Thema Alter in den Nachwuchsfilmen hat. „Das hatte ich nicht erwartet, ich dachte, dass die jungen Filmemacher sich stärker mit ihrer eigenen Welt beschäftigen“, sagte der 55-Jährige Schauspieler, der selbst in jugendlichen Klamotten erschienen war. Die Bedeutung des Festivals hob Alexander Wadouh hervor, der Produzent des Vorjahres-Gewinnerfilms „Oh Boy“. Wadouh gehört in diesem Jahr der Jury für den Produzentenpreis an. Durch solche Auszeichnungen werde die Arbeit der Filmemacher erst richtig sichtbar, sagte der 34-Jährige.

Dominic Raacke schien noch ein anderer Punkt wichtig: die Frage nach der Innovationskraft der Jugend. Die ältere Generation erwarte vom Nachwuchsfilm immer einen Bruch mit den Konventionen, dass Mauern eingerissen werden. Doch Raacke weiß aus seiner eigenen Zeit an der Münchner Filmhochschule, dass diese Erwartung immer auch überzogen ist. Schließlich müssten sich auch Studierende dem Mainstream annähern, wenn sie dort einen Platz finden wollen. Ob etwas ganz Neues, Innovatives mit den Filmen geschaffen werde, sei schließlich aber nicht das Entscheidende. „Viel entscheidender ist, dass sich die Studierenden an der Hochschule ausprobieren können“, sagte Raacke. Nach 36 Tatort-Fällen als Kommissar Ritter will Raacke sich nun auch selbst ausprobieren. Neben der Schauspielerei möchte er schreiben. „Das wollte ich eigentlich schon immer.“

Dass der junge Film immer auch wieder andere Perspektiven und einen neuen, oft ungewohnten Blick auf die Welt erlaubt, zeigt in diesem Jahr unter anderem der israelische Filmemacher Assaf Machnes in seinem Film „Auschwitz On My Mind“. Ein Spielfilm über den Besuch von israelischen Schulklassen in den Gedenkstätten der NS-Konzentrationslager in Polen. Für den 17-jährigen Roy bedeutet Auschwitz etwas ganz anderes als für seine Vorfahren, die einst der Mordmaschinerie noch einmal entkommen waren. Das Grauenhafte dieser Orte ist nur die Oberfläche, die Dinge, die Lehrer und Zeitzeugen den Jugendlichen erzählen. Für Roy ist Polen hingegen der Ort, an dem ihn die erste Liebe übermannt. Und Auschwitz wird zu dem Ort, an dem er mit seiner Angebeteten das erste mal Sex haben will. So zumindest eine makaber anmutende Wette der jungen Männer. Doch die finden das gar nicht pietätlos – im Gegenteil, so bringe man Leben dahin, wo einst der Tod regierte. Dass es am Ende doch gar nicht so weit kommt, spielt dann keine große Rolle mehr. Das Symbolische an dieser pubertären Schnapsidee ist es, was den Film ausmacht. Denn es ist ein Einfall, der für Überlebende des Holocausts undenkbar gewesen wäre.

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