Landeshauptstadt: Jungs machen Ballett
Breakdance und Prügelei zu Musik von Sergej Prokofjew: Schüler aus Babelsberg und Wilhelmshorst tanzen die Capulets und Montagues in „Romeo und Julia“
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Eine riesige Goldkette ist auf das schwarze T-Shirt gedruckt. Dazu trägt der 16-Jährige ein Basecap, übergroße Jeans, ausgelatschte Turnschuhe und einen betont lässigen Gang. Damit bewegt sich der Oberschüler auf zwei Kumpels zu, die gegen ein Gerüst lehnen. Die laute Musik aus den Stöpseln, die in ihren Ohren stecken, bewegen die Köpfe zum Groove. Die Freunde begrüßen sich mit Handschlag. „Kommt ihr mit tanzen“, fragt Mr.Goldkette.
Die drei machen Ballett. In William Shakespeares Klassiker „Romeo und Julia“ gehören sie zu den Capulets. Ihr Anführer heißt Tybalt, gespielt von Breaker Hawk und sie hassen die Montagues – eine Feindschaft, die schon ewig wehrt. Die Gang trifft sich zum Üben im Judoraum von Motor Babelsberg. Sie seien nicht gerade die besten Schüler, sagt Sportlehrer Uwe Mütz von der Goethe-Oberschule. Einige unter ihnen hätten es sogar richtig schwer und machten deshalb Probleme. „In dem Alter stehen sich Jungs oftmals selbst im Weg“, sagt Marita Erxleben. Die Ballettlehrerin ist selbst Mutter von zwei Söhnen und wollte schon vor Jahren „Romeo und Julia“ auf die Bühne bringen. „Mit Ballett-Laien“, sagt sie. Um Tänzer für die Capulets und Montagues zu finden, hat sie Anfang des Jahres einen Workshop gemacht, mit Schülern der Klassen 8 bis 10 aus den Oberschulen in Babelsberg und Wilhelmshorst. Zum Casting kamen über 250 Jungs – geblieben sind 40. „Das sind die, die das wirklich wollen und deshalb auch gut sind“, sagt Maik Müller. Der 23-Jährige gibt mit dem Romeo sein Bühnendebüt in einer Hauptrolle. Er hat aber auch Exempelfunktion.
„Ich wollte echte Vorbilder“, sagt Marita Erxleben. Ihre Projektidee ist mehr als Tanzen. Coole Typen gebe es genug: im Kino, in Computerspielen oder Musikvideos, aber nichts zum Anfassen. Ganz anders Maik Müller. Mit der Kampfsportausbildung, dem zum Zopf gebundenen langen Haar, der ruhigen Stimme und der zurückhaltenden Art, verschafft er sich Respekt. Die Jungs hören ihm zu.
Ebenso wie Hawk, der eigentlich Ralf Habicht heißt und mit 14 Jahren schon angefangen hat zu breakdancen. Der heute 37-Jährige fegt durch die Turnhalle der Oberschule Wilhelmshorst. Tybalt bringt seine Capulets hinter sich. Es ist Mittag und eigentlich noch Unterricht. Für die Proben aber sind die Bühnenakteure freigestellt. Premiere ist am 22. Mai im Hans Otto Theater.
Die Schirmherrschaft für das Großprojekt hat Brandenburgs Bildungsminister Holger Rupprecht übernommen. Ein Teil der Honorare für die Tanzlehrer Hawk und Maik komme aus dem „Ganztagstopf“, sagt Uwe Mütz, Koordinator der Ganztagsschulen in Potsdam. Auch sei Vattenfall eingesprungen und bezahle den Auftritt des Deutschen Filmorchesters Babelsberg, das am Premierenabend und bei einer weiteren Vorstellung die Ballettkomposition von Sergej Prokofjews spiele. Ansonsten behelfe man sich mit Musik vom Band, sagt Marita Erxleben. Sie habe viele Helfer, sagt die Ballettlehrerin, das Hans Otto Theater sei großer Unterstützer. Bühnenbildner und -bauer sowie die Kostümgestalterin arbeiteten kostenfrei oder gegen ein geringes Entgelt, nur die Materialkosten müsse sie aufbringen, erklärt Marita Erxleben. Nicht überall aber sei sie mit ihre Bitte um finanzielle Unterstützung auf offene Ohren gestoßen. Anträge auf Förderung beim Jugendamt und bei der Stiftung Großes Militärwaisenhaus seien negativ beschieden worden. Ein Rückschlag für die Ballettschulenleiterin.
Nach nur vier Proben beherrschen die Jungs schon ganze Schrittfolgen. Das Schlacksige ist der Körperspannung gewichen. In tänzerischen Kampfbewegungen nähern sich die Gruppen bedrohlich. Schließlich prügeln sich die Capulets und Montagues zu Prokofjews Klanggewalt. Die Musik sei cool, findet David. Der Goethe-Schüler macht in seiner Freizeit Cheerleading und ist Auftritte gewöhnt. Trotzdem ist Tanzen auf der großen Theaterbühne doch etwas anderes.
„Da bekommen alle nochmal das große Flattern“, sagt Christine Redmann, Sportlehrerin in Wilhelmshorst und Koordinatorin des Projekts. „Ich muss die Jungs tätscheln“, erklärt sie. Aufgrund mangelnder schulischer Erfolge sinke das Selbstwertgefühl. Mädchen seien da anders, vielfach zögen sie gerade in diesem Alter an den Jungen vorbei. Die Mädchen in seinen Kursen hätten ihn sogar angebettelt mitmachen zu dürfen, erzählt auch Uwe Mütz.
Die Kostümbildnerin habe tolle Logos für die Capulets und die Montagues entworfen, erzählt die Ballettlehrerin. „Hoffentlich sehen unsere besser aus“, sagt Lucas. Die Jungs haben die Bandenzugehörigkeit verinnerlicht. Von der grenzenlosen Liebe zwischen Romeo und Julia haben die Schüler aus der original Shakespeare-Vorlage erfahren, ebenso von der tief verwurzelten Feindschaften der Familien, aus denen sie stammen. Eine Versöhnung der verfeindeten Gruppen am Ende des Stücks stellt Marita Erxleben nicht in Aussicht. „Das ist unrealistisch.“
Premiere „Romeo und Julia“ am 22. Mai um 18 Uhr im Hans Otto Theater. Karten unter Tel.: (0331) 98118
Nicola Klusemann
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