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Gespaltene Meinung. Die einen wollen Mixed Martial Arts verbieten, weil sie den Sport gewaltverherrlichend finden. Die anderen sehen hingegen im MMA – so die Kurzform – eine perfekte Vervollkommnung des Kämpfens und werben um Akzeptanz sowie Anerkennung.

©  dpa

Mixed Martial Arts in Potsdam: Kampf im Käfig

Potsdam ist erstmalig Schauplatz einer großen Veranstaltung im Mixed Martial Arts. Gegner und Befürworter dieses knallharten Wettstreits, bei dem zahlreiche Kampfsportarten miteinander verbunden werden, liefern sich eine kontroverse Debatte.

Von Tobias Gutsche

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Auf der Internet-Plattform YouTube gibt es Videos aller Facetten zu sehen. Schöne Fußballtreffer, Heimwerkeranleitungen, Schminktipps für Mädchen, lustige Katzenaktionen. Und es gibt auch Clips von Kämpfen im Mixed Martial Arts – kurz MMA. Zwei Männer oder Frauen stehen sich dabei in einem achteckigen Ring, der wie ein Käfig gestaltet ist, gegenüber und versuchen, den Kontrahenten mit Mitteln verschiedener Kampfsportarten wie Boxen, Karate, Kickboxen, Ringen und Judo zu bezwingen. Sei es über die Punktwertung, durch Aufgabe oder Knockout. Dafür wird heftig mit den Fäusten ausgeteilt, der Gegner geworfen, Tritte mit Knien und Füßen sind erlaubt, Halte- und Würgetechniken ebenfalls. Duelliert wird sich nicht nur im Stehen, sondern auch am Boden geht es energisch weiter – zuweilen mit Schlägen, allerdings ist hier das Treten untersagt.

Seit Jahren entbrennt deutschlandweit um diesen Sport, der in den USA inzwischen populärer ist als das klassische Boxen, eine kontroverse Debatte. Gegner finden ihn gewaltverherrlichend und wollen ihn deshalb rigoros verbieten. Befürworter sehen im MMA – jenem wortwörtlichen Mischen von Kampfkünsten – hingegen die perfekte Vervollkommnung des Kämfpens und streben an, den hochintensiven Wettstreit hierzulande salonfähig zu machen. Zur zweiten Kategorie gehört Michael Sagon, der am morgigen Samstag erstmalig ein großes MMA-Event nach Potsdam bringt. Der Käfig steht dann mitten in der MBS-Arena (Einlass: 17 Uhr, Beginn: 18.30 Uhr).

Schneyder: "MMA ist ein perverser Zirkus"

Sagon ist der Präsident der Vereinigung „IFO Europe“, die den internationalen Profi-Kampfabend veranstaltet. Zehn Duelle – davon einer bei den Frauen – über je dreimal fünf Minuten sind angesetzt. „Hochklassiges“ werde geboten, verspricht Sagon, der mit 1000 bis 1500 Besuchern rechnet. „Die Location am Luftschiffhafen ist schön“, sagt der 51-jährige Berliner: „Und ich denke, dass wir die sportliebende Stadt Potsdam bereichern werden.“ Die Liebe zum Sport, den er promotet, werde seiner Meinung nach allgemein in Deutschland immer größer. „Wir sind eine aufstrebende Gemeinde.“

Diese wurde und wird aber gleichsam mit viel Abneigung konfrontiert. Der renommierte Box-Kommentator Werner Schneyder zum Beispiel bezeichnete MMA in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ als „perversen Zirkus“ und forderte, dem Ganzen einen Riegel vorzuschieben. 2010 wurde der Sport sogar aus dem deutschen Fernsehen verbannt, weil „die Massivität der gezeigten Gewalt“ für nicht akzeptabel gehalten werde und Tabus breche, wie es damals in der offiziellen Begründung lautete. Vergangenes Jahr wurde diese Entscheidung allerdings durch das Bundesverfassungsgericht aufgehoben. In einigen Städten der Republik kam es derweil auch bereits dazu, dass die Austragung von MMA-Kämpfen keine Genehmigung fand, weil sich die Politik oder Hallenbetreiber dagegen sperrten.

Auch in der Stadt Potsdam wird MMA trainiert

Bei der Luftschiffhafen GmbH, die als städtische Institution für die MBS-Arena verantwortlich ist, habe es nach der Anfrage vonseiten der „IFO Europe“ zunächst auch ein Abwägen gegeben, ob man die hiesige Mehrzweckstätte dafür nutzen wolle, erklärt ein Luftschiffhafen-Sprecher den PNN. Letztlich folgte jedoch die Zusage. Vor allem, weil es eben ein kommerzielles Event sei, das Brandenburgs Landeshauptstadt finanzielle Einnahmen bringe. „Beträchtliche“, heißt es. „Dieser Sport“, meint der Luftschiffhafen-Sprecher, „ist ja auch nichts Illegales, sondern hat sich in der Kampfsportszene etabliert.“ Im Endeffekt sei es nur eine Frage des Geschmacks. „Dem einen gefällt ein Konzert, dem anderen so was.“

Einem, dem „so was“ zusagt und er deshalb morgen auch in der MBS-Arena sitzen wird, ist Stefan Müller. Er ist MMA-Trainer des „Bushido Free Fight Teams Potsdam“. Im Ring lehrt der 32-Jährige die diversen Kampftechniken und wendet sie auch selbst bei Wettbewerben an, außerhalb des Rings kämpft er um Anerkennung für seine Zunft. „Viele denken, MMA ist ein hemmungsloses, blutrünstiges Geprügel. Aber das ist ein falsches Bild. Unser Sport ist zwar hart, ohne Frage, aber es gibt auch klare Reglementierungen, in deren Grenzen alles streng abläuft“, sagt Müller, der ursprünglich Boxer war. „Das war mir jedoch irgendwann zu eindimensional. Daher bin ich zum MMA gegangen, weil mich die Vielseitigkeit gereizt hat.“ Jeder Kampfsport, erzählt er, sei an sich schon anspruchsvoll – und wenn diese unterschiedlichsten Ansätze verbunden werden, ergebe es ein „Höchstmaß an Komplexität“, das für Athleten und Zuschauer gleichermaßen einen hohen Attraktivitätswert biete.

MMA-Vorläufer bereits im antiken Griechenland

Getragen wird das Aufeinandertreffen zwischen Mixed Martial Artist, die jeweils ihre sportartspezifischen Präferenzen haben und damit zum Erfolg kommen wollen, von einer entscheidenden Grundidee: Die Suche nach dem besten, effektivsten Kampfstil. Sie trieb die Menschen, schon lange bevor sich MMA ab den 1980er-und 1990er-Jahren in seiner heutigen Gestalt ausformte, um. Im antiken Griechenland wurde das sogenannte Pankration eingeführt – ein Duell: Boxer versus Ringer. Es war damals sogar Teil der Olympischen Spiele.

Das moderne Pankration ist nun noch deutlich umfangreicher. Entsprechend groß ist die Herausforderung, auf die sich im Training beileibe nicht nur mit Hilfe von Kampf- und Kraftübungen vorbereitet wird. „Unser Pensum besteht zu großen Teilen auch aus Turnen und Gymnastik“, berichtet Stefan Müller. „Das ist für MMA sehr hilfreich, denn so entwickelt man eine gute und zwingend notwendige Kontrolle über den ganzen Bewegungsapparat.“ Und der Coach betont, dass das von außen oft nahegelegte miese Image, MMA-Kämpfer seien alle wildgewordene Brutalo-Schläger, völlig realitätsfern sei: „Leute, die einfach nur gerne drauf los prügeln wollen, werden hier zu nichts kommen. Es braucht Cleverness, taktischen Verstand und somit ganz viel Gehirnschmalz, um zu bestehen.“ Das Klientel, das bei ihm – dem Projektleiter eines mittelständischen IT-Dienstleisters – trainiert, sei daher auch alles andere als plump. Eine Auswahl: Studenten, Erzieherinnen, Ingenieure, Altenpfleger, Arzthelferinnen, Softwareentwickler.

Studien belegen: Keine erhöhte Verletzungsrate

Und dann wäre ja da noch das Problem mit dem Gesundheitsrisiko. Mixed Martial Arts wird nachgesagt, ein besonders hohes zu haben. Studien haben allerdings bewiesen, das dem nicht so ist. Die Verletzungsrate beim MMA unterscheidet sich nicht von anderen Kampfsportarten und die Gefahr einer schweren Hirnschädigung ist laut den Forschungsberichten sogar niedriger als beim Boxen, weil insgesamt weniger Kopftreffer gefangen werden. Stefan Müller bemüht auch einen persönlichen Vergleich zu Nicht-Kampfsportarten: „Freunde von mir, die Fußball, Volleyball oder Handball spielen, sind öfter und schwerwiegender verletzt als ich.“ Ein wesentlicher Faktor, der das Verletzungsrisiko beim MMA minimiert, ist zugleich das für viele Betrachter abschreckende Sinnbild dieses Fightsports: der Käfig. „Das sieht vielleicht martialisch aus, dient aber vorrangig der Sicherheit. Dadurch können die Kämpfer bei Würfen nicht aus dem Ring stürzen“, erläutert „IFO Europe“-Präsident Michael Sagon. Außerdem, versichert er, werde durch hohe Wachsamkeit der Ringrichter und intensive medizinische Betreuung vor Ort alles zum Wohle der Teilnehmer getan.

Michael Sagon hegt keinen Zweifel: „Mixed Martial Arts wird das Profiboxen im Laufe der nächsten Jahre hier in Deutschland und weltweit ablösen.“ Warum? „Weil es ehrlicher ist. Boxen ist doch nur noch scheinheilig. Da werden – Hauptsache, es wird dicker Profit gemacht – Duelle zwischen Super-Kämpfern und Fallobst-Typen zugelassen. Bei uns würde es das niemals geben“, antwortet der Mann, der die Potsdamer MBS-Arena morgen zum ersten Mal zu einer MMA-Arena macht. Drei Wochen später wird an gleicher Stelle wieder im Ring gekämpft. Allerdings ist dieser dann vier- und nicht achteckig sowie durch Seile und kein Gitter begrenzt. Profiboxen steht auf dem Programm.

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