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Von Margret Hahn und Henri Kramer: Karma und Charisma

Ab in den „Nil“: Der Klub am Neuen Palais bietet Flair und besondere Bands

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Verfrickelte Gitarrenmelodien schwirren wie in Trance durch den Raum, rund fünfzig junge Menschen stehen vor einer nicht einmal kniehohen Bühne, ein paar tanzen. „Es ist immer schön hier in Potsdam“, ruft der Bassist von My Sleeping Karma an diesem Dienstagabend den Besuchern der Nil Clubs zu. Sie jubeln, als die Band noch einmal für eine Zugabe auf der Bühne erscheinen und weiter ihren Soundtrip zelebrieren, der selbst ohne Gesang dynamisch klingt.

Und selbst als die Musik aus ist, fühlen sich die Gäste sichtlich wohl. Der Kickertisch im Eingangsbereich ist dicht umlagert, Flaschenbier für 1,50 Euro geht über den Tresen. Es ist wegen der Bands ein besonderer, aber dennoch sehr typischer Abend im „Nil“, wie er kurz bei seinen jungen Besuchern heißt.

Und kaum einer ahnt von der langen Geschichte des Kellers, mitten im Uni-Gelände beim Neuen Palais gelegen. Tamas Blenessy, einer der 36 Mitglieder im Trägerverein, erzählt die Historie: „Schon in den 70er Jahren haben Potsdamer Studenten hier Partys gefeiert.“ Und manchmal kämen noch Gäste vorbei, erzählt der Student, weil ihre Eltern sie bei diesen mutmaßlich wilden Festen gezeugt hätten. Doch in den 1990ern erlebte der Keller eine schwere Krise. Nach seinem vorläufigen Aus wurde er vor rund zehn Jahren von Studenten wieder aufgebaut.

Die lange Tradition verrät schon die Einrichtung: Alte, graublau gemusterte DDR-Sessel und abgewetzte, braune Ledersofas an rustikalen Holzbänken dienen als Sitzgelegenheiten. Und wenn wie am Dienstag eine Band spielt, dann können Besucher sie fast auf Augenhöhe erleben. Und für wenig bis gar keinen Eintritt.

Betrieben wird der Klub von einem studentischen Verein, zu unkommerziellen Zwecken, wie Mitglieder vom Nil-Verein betonen. Gezahlt werden müssten nur die Betriebskosten für das Gemäuer. Fördermittel sollen Geldsorgen verhindern. Die nötigen Arbeiten verrichtet das Nil-Team ehrenamtlich. Deswegen wird immer Hilfe gesucht: „Der potenzielle Mitarbeiter muss kontaktfreudig, trinkfest, studierendenlieb und weltoffen sein, das sind die einzigen Bedingungen“, heißt es. Auch am Dienstag stehen wieder junge Potsdamer hinter dem Tresen, die diesen Abend auch ganz anders hätten verbringen können.

Das Konzept hinter solchem Engagement ist einfach, die Studenten sollen nahe der Uni preiswerte Kultur bekommen: Lesungen, Partys und Themenabende stehen dabei regelmäßig auf dem Programm. Gegen eine Aufwandsentschädigung von rund 100 Euro können Studenten den Nil sogar für private Zwecke mieten, ausufernde Geburtstagspartys dort feiern und dann aufräumen. Gerade dieses Angebot boomt, bis Ende Juli ist der Keller laut Blenessy ausgebucht. Bis zu 250 Besucher können kommen, dann allerdings riecht die Luft wirklich stickig-verraucht.

Doch das kommt nicht immer vor. Denn der Nil fördert auch Nischenkultur und Veranstaltungen, die sich in einem größeren Rahmen nicht etablieren konnten. So entstand die regelmäßige Lesebühne „Texte aus den Untergrund“ in Anlehnung an die untergegangene „Papierpiloten“-Leseshow des Waschhauses. Dabei lesen jeden letzten Freitag im Monat Studenten zusammen mit Gastliteraten aus ihren Werken. Ein Angebot, aber nicht für jeden Geschmack.

Auch My Sleeping Karma und die am Dienstag nachfolgenden Atomic Bitchwax sind spezieller. Rauer, psychedelischer Sound, sehr laut, aber dynamisch. Da ist das Fiepen im Ohr auf dem Weg nach Hause fast schon egal.

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