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Landeshauptstadt: Kein Geld für Kastrationen

Kriselnder Tierschutzverein plant „Tiertafel“ / Tierheim als Wahlkampfthema / Konflikte mit Verwaltung

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Potsdam und sein Tierheimstreit: Den Dauerkonflikt zwischen Tierschutzverein (TSV) und Verwaltung will die Linke zu einem Schwerpunkt des Potsdamer Kommunalwahlkampfs machen. „Es gibt viele Tierfreunde in Potsdam, das ist ein wichtiges Thema“, sagt Linke-Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg drei Monate vor der Wahl – und sieht es als „naheliegend“, den TSV ein neu zu bauendes Potsdamer Tierheim betreiben zu lassen.

Die Stadtverwaltung wird solche Sätze nur ungern hören. Im vergangenen Sommer noch hatten Mitarbeiter der Beigeordneten Elona Müller mit dem TSV darüber verhandelt, wann und wo in Potsdam ein neues Tierheim entstehen soll. Nach stetigen Querelen verlor Müller offenbar die Geduld und entzog dem TSV Ende August den Auftrag der Fundtierbetreuung in dem als marode geltenden Tierheim am Wildpark. Gegenseitige Schuldzuweisungen folgten, ebenso Demos aufgebrachter Tierschützer und die Androhung eines Bürgerbegehrens. Inzwischen hat die Fundtierbetreuung das „Pfötchenhotel“ in Beelitz übernommen, die Verwaltung äußert sich zufrieden. Und der Tierschutzverein? Bis auf einzelne Angriffe auf den kommerziellen Konkurrenten in Beelitz – etwa wegen dessen angeblich hohen „Abwehrpreisen“ für die bloße Abgabe von Hunden oder Katzen – tritt der TSV aktuell öffentlich nur wenig in Erscheinung. Und gibt sich nervös: Texte von Journalisten will TSV-Chef Niklas Wanke vorher lesen, bei Nichtgefallen die eigenen Zitate nicht freigeben.

Der Verein durchlebt nach dem Auszug aus dem Tierheim offenbar eine schwere Zeit. Intern, so heißt es, müsse Wanke bei dem mehr als tausend Mitglieder zählenden Verein mit Austritten rechnen. Dazu bleibt das Herzensanliegen der TSV-Mitglieder nach einem eigenen Tierheim bislang nur ein Wunsch. Noch fehlt ein Grundstück und ob sich der TSV an der europaweiten Ausschreibung der Verwaltung für den Bau eines neuen Tierheims beteiligt, ist offen. Die Bewerbungsfrist endet am 15. Juli. Von aufgeben jedoch keine Spur: So will der TSV noch im August eine „Tiertafel“ einrichten, kündigte Wanke an. Dort sollen die Tiere von bedürftigen Besitzern kostenloses Futter erhalten. Um Hunger zu stillen, aber auch um aus Tierschutzgründen einen Blick auf die Tiere werfen zu können, auf Fragen von Haltern zu antworten. Die Hilfe wird den Planungen nach dort angeboten, wo der TSV nun sein Hauptquartier hat: Kurz nach dem Ortsausgang Potsdam in einem Gewerbegebiet in Bergholz-Rehbrücke.

In einem Keller lagert schon Tiernahrung. Im Viergeschosser in der Nähe hat der TSV sein neues Büro, dass von Ehrenamtlern täglich zwei Stunden geöffnet wird. Daneben gehen TSV-Helfer durch die Stadt und füttern streunende Katzen und lassen sie gegebenenfalls auf Vereinskosten kastrieren. Doch auch hier wird das Geld knapp. „Für 2008 sind die finanziellen Kapazitäten erschöpft“, heißt es in einer neuen TSV-Mitteilung – mit Bitte um Hilfe. Denn die Zahl herrenloser Katzen wachse in Potsdam rapide, immer mehr Tiere müssten sich von Abfällen ernähren, ohne medizinische Versorgung. „Katzenkastration ist aktiver Tierschutz“, sagt Anja Schlichting, Tierärztin und zweite TSV-Vorsitzende.

Es ist solches Engagement, wegen dem sich Linken-Chef Scharfenberg auch jetzt noch für den TSV als Tierheimbetreiber stark macht: „Anbieter wie das Pfötchenhotel arbeiten kommerziell, beim TSV geht eben auch vieles ehrenamtlich.“

Doch wäre eine vertrauensvolle Zusammenarbeit des TSV mit der Stadt noch möglich? Zweifel sind angebracht. Momentan kommunizieren TSV und Stadt vor allem über Anwälte. Denn die Stadt fordert vom TSV verwaltete Spenden für einen Tierheimneubau zurück, Zahlen zwischen 80 000 und 210 000 Euro kursieren. Die Linken-Stadtverordnete Hella Drohla, mit familiären Kontakten in den TSV, warnte bereits öffentlich vor dem „Ruin“ des Vereins, wenn er zahlen müsse. Intern soll Wanke nach PNN-Informationen aber davon ausgehen, dass der Verein selbst dann nicht Pleite gehen würde, es keinen Anlass für Sorgen gebe – und vor allem kein Cent fehle. Derzeit bereitet der Vereinsvorsitz demnach eine Schlussabrechnung vor – und mokiert sich darüber, warum die Stadt einen „sozial engagierten Verein“ so ungerecht behandele. Doch die Verwaltung sieht sich im Recht. „Wir haben einen Anwalt beauftragt, dass der TSV Auskunft über die Summe der Spendengelder geben soll“, so Stadtsprecherin Rita Haack. Oberbürgermeister Jann Jakobs sprach jüngst sogar von „Untreue“.

Auch an anderer Stelle ist der Konflikt zwischen Verwaltung und TSV die Sache von Anwälten. Es geht um ehemalige Mitarbeiter des Tierheims, die der TSV kündigen habe müssen, als er das Heim nicht mehr betreiben durfte. Erfolgreich klagten drei Ex-Angestellte vor dem Arbeitsgericht auf Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist, obwohl keine Arbeit für sie da ist. Lohnfortzahlungen von einigen 10 000 Euro sollen dem TSV entstanden sein.„Der TSV hat seine Kündigungsfrist nicht eingehalten“, so Stadtsprecherin Haack. Ein Gesprächsangebot für die entlassenen Mitarbeiter stehe. Allerdings bisher ohne Erfolg. Auch hier schieben sich beide Seiten die Schuld zu. Ein Dauerkonflikt.

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