Landeshauptstadt: Kein Platz mehr bei den Nuthegeistern „Wenn Jugendliche nur von Oma und Opa oder ihren Eltern betreut werden, sind sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen.“ Birgit Morgenroth (SPD), Sozialausschussvorsitzende
Behinderten Teenagern steht nachmittags keine Hortbetreuung mehr zu – für betroffene Eltern ein Riesenproblem. Sie haben eine Bürgerinitiative gegründet. Politik und Verwaltung haben das Problem jetzt erkannt und wollen helfen. In welcher Form ist aber völlig offen
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Es geht um eine Betreuungslücke in Potsdam, die behinderte Jugendliche betrifft. Für diese Teenager wird zwar gut gesorgt, bis sie 14 Jahre alt sind – dann aber haben sie keinen Anspruch mehr auf Hortbetreuung. Ihre Eltern müssen einspringen, notfalls die Arbeit aufgeben. Das Problem wollen Stadtpolitiker jetzt versuchen zu lösen.
Anlass sind auch die Schlagzeilen um das Aus für den sogenannten familienentlastenden Dienst des Oberlinhauses, der Eltern behinderter Kinder ab kommendem März nicht mehr zur Verfügung steht (PNN berichteten). In Reaktion darauf hat die Grünen-Fraktion einen etwas sperrig benannten Antrag gestellt: Das Rathaus solle bis Februar ein Konzept „für die Schaffung einer Einrichtung für die Ferien- und Schulanschlussbetreuung von Jugendlichen mit Behinderungen“ erstellen. Fraktionsübergreifend zeichnet sich dafür Unterstützung ab.
Der Bedarf sei vorhanden, sagt die SPD-Stadtverordnete Birgit Morgenroth, die den Sozialausschuss der Stadtverordneten leitet. „Wenn die Jugendlichen nur von Oma und Opa oder ihren Eltern betreut werden, sind sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen.“ Besser wäre ein betreuter Ort, „an dem die Jugendlichen gut aufgehoben sind“, so Morgenroth. Die Frage sei, wie das umgesetzt werden könne, organisatorisch und finanziell. Dazu werde man im Sozialausschuss auch Vertreter von Jugendklubs hören, um Ideen aufzunehmen. „Wir dürfen die Eltern nicht im Regen stehen lassen.“
Darauf hofft Ulrike Barth-Musil. Ihr geistig behinderter Sohn Konrad ist 13 Jahre alt, am Ende des Schuljahres endet seine Betreuungszeit im Hort „Nuthegeister“ am Schlaatz. Eine Alternative hat sie nicht gefunden, das Pflegegeld würde nur für ein oder zwei Nachmittage Einzelbetreuung ausreichen. „Und in normalen Jugendklubs sind meist die Räumlichkeiten nicht geeignet.“ Ihr Sohn solle auch mit Gleichaltrigen zusammen sein, „eine Sonderbehandlung wollen wir gar nicht“.
Im Herbst hat Ulrike Barth-Musil eine Bürgerinitiative gegründet. Inzwischen gehören 70 Eltern dazu, die sich für die Schaffung eines Angebots zur Nachmittagsbetreuung behinderter Jugendlicher einsetzen. In einem offenen Brief ans Rathaus heißt es: „Es ist eine Benachteiligung der sowieso stärker belasteten Eltern behinderter Kinder, dass sie mit der Betreuung ab dem Jugendlichenalter alleine gelassen werden – der Inklusionsgedanke endet nicht am Grundschultor.“ Gerade für Alleinerziehende sei die fehlende Hortbetreuung eine Katastrophe. Nächste Woche trifft sich die Initiative mit Bildungsminister Günter Baaske (SPD). Auch im Sozialausschuss der Stadt hat sie bereits vorgesprochen.
Die Bemühungen waren offenbar nicht erfolglos. Unterstützung kommt auch von den Linken. „Das ist ein ernstes Problem, das dringend gelöst werden muss“, sagte Kreischef Sascha Krämer. Seine Fraktion plädiere für mehrere Betreuungsmöglichkeiten – statt einer zentralen. CDU-Fraktionschef Matthias Finken nennt das Anliegen sinnvoll. Es sei aber die Frage, ob die Stadt ein Angebot finanzieren könne, das funktioniert. „Das ist ein Spagat“, so Finken. Die Rathauskooperation aus SPD, CDU, Grünen und Potsdamer Demokraten hatte sich in ihrem Bündnisvertrag festgelegt, für neue Angebote stets eine Gegenfinanzierung zu beschließen und Investitionen in neue Schulen vorrangig zu behandeln.
Auch die Stadtverwaltung überlegt, wie sich das Problem lösen lässt. Rathaussprecher Jan Brunzlow sagte, die Stadt sei sich der Verantwortung aus der UN-Behindertenrechtskonvention bewusst, alle Maßnahmen zu treffen, damit Kinder mit Behinderung gleichberechtigt mit anderen Kindern Grundfreiheiten genießen können. Mit Sozialträgern werde an Angebotsformen gearbeitet, so Brunzlow – um nächstes Jahr betroffenen Eltern eine Betreuung ihrer Kinder zu ermöglichen.
Dabei kann sich Inge Naundorf einiges vorstellen. Die Grünen-Stadtverordneten ist eine Initiatorin des Antrags ihrer Fraktion, hat selbst eine behinderte, acht Jahre alte Pflegetochter. „Ob nun ein Extra-Hort eröffnet, ein Jugendklub ein neues Projekt startet oder eine Schule einfach länger Betreuung anbietet: Da gibt es mehrere Stellschrauben.“ Werde keine Lösung gefunden, könnten zum Beispiel alleinerziehende Mütter wegen ihres Berufs gezwungen sein, ein behindertes Kind in ein Heim zu geben – mangels Betreuungsmöglichkeiten.
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