
© Andreas Klaer
Sport: Kein Selbstläufer
Zehn Potsdamer sind am Start. Ein Jahr trainieren. Fitter und gesünder werden. Länger durchhalten. Das ganz eigene Ziel erreichen. Mit dabei: Thomas Fischer
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Thomas Fischer ist ein Selbstläufer. Jedenfalls haben sie ihm das auf dem Arbeitsamt gesagt. Vor 13 Monaten. Mit seinen Qualifikationen finde er schnell wieder einen Job. Technikstudium, ausgebildeter Qualitätsmanager. Aber es läuft nicht, schon gar nicht von selbst. Nach mehr als einem Jahr, 38 Bewerbungen und elf Vorstellungsgesprächen ist der 50 Jahre alte Familienvater noch immer nicht am Ziel. „Das nagt schon am Selbstbewusstsein“, gesteht Fischer.
Nichts läuft von selbst. Diese Erfahrung begleitet den Wilhemshorster sein ganzes Leben lang. Auch wenn immer alles in Bewegung ist, braucht es dafür einen Antrieb. Nach der Lehre als Landmaschinen- und Traktorenschlosser drei Jahre zur Armee zu gehen hatte den Grund, danach studieren zu können. Drei Jahre Wehrdienst = Studium, so lautete die Formel in der DDR. Die berufliche Laufbahn schien geebnet, doch es wäre vermessen gewesen, zu glauben, dass alles glatt läuft. Die große Wende 1989 bedeutete viele Wendungen im Kleinen - auch für Thomas Fischer. Ein neuer Job und schließlich der Schritt in die Selbstständigkeit, was in der Folge die sportlichen Laufschritte immer weniger werden ließ. „Ich wurde immer unbeweglicher", erinnert sich Fischer. Seine beiden Töchter - inzwischen sind sie zwölf und zehn Jahre alt - wurden immer agiler. Als er vor acht Jahren bei einem Spendenlauf in der Kita seiner Kinder teilnahm, war die zu absolvierende Runde zwar nur 200 Meter kurz, aber lang genug, um zu erkennen: „Mensch, ja, das war doch was. Laufen tut gut!“ Schon beim Studium ist Thomas Fischer gelaufen, um den Kopf frei zu bekommen. „Laufen war für mich Problemlösung, danach konnte ich wieder nachdenken“, sagt er. Noch am gleichen Nachmittag nach den Kita-Benefizlauf zog er sich noch einmal die Laufschuhe an und lief los. Drei Kilometer hat er geschafft - genug, um festzulegen: „Ich mach das jetzt öfter!“
Zwei Experten sollten beim Laufstart Pate stehen: Ex-Marathonläufer Herbert Steffny und Gesundheitspabst Ulrich Strunz, die ihre Weisheiten in Bücher gedruckt haben. „Unnützes Wissen“, habe Fischers Frau gemeint, als er versucht habe, nach literarischen Vorgaben zu trainieren und die Ernährung umzustellen. „Mit mehr Salat und Eiweißshakes“, wie Thomas Fischer es zusammenfasst. Vor fünf Jahren forderte ihn ein Freund heraus: Der schenkte ihm zu Weihnachten eine Startnummer für den Berliner Halbmarathon, der jedes Jahr im Frühjahr stattfindet. „Eine lieb gemeinte Provokation“, nennt Fischer das Geschenk, das ihn schließlich zu einer gewissenhaften Vorbereitung auf die 21 Kilometer lange Herausforderung animierte. Die Stimmung auf den Straßen Berlins hat er so aufgesogen, dass es heute noch förmlich in ihm vibriert. Das Foto, das ihn jubelnd mit der Startnummer 9681 im Ziel zeigt, klebt hinter dem Sichtfenster in seinem Portemonnaie.
Inzwischen hat Thomas Fischer sein Wettkampfpensum verdoppelt und einen Marathon geschafft – unter vier Stunden. Keinen Vergleich gebe es zum Rennsteiglauf: „Es ist einfach geil da“, schwärmt er. Dreimal ist er dort den Halbmarathon gelaufen. Beim ersten Mal, als alle am Start den Schneewalzer sangen, dachte er noch: „Die haben alle ’ne Meise!“ Dann wurde er genauso positiv bekloppt und hat die nächsten beiden Jahre mitgesungen.
Seit dem vergangenen Jahr läuft es nicht mehr so gut. „Das kann mit meiner Arbeitslosigkeit zusammenhängen, die doch arg an mir knabbert“, sagt Fischer. Vielleicht hat er es seiner Genauigkeit zu verdanken – „Ich bin pingelig!“ – , dass er für „Potsdam läuft“ ausgewählt wurde. Die Zeitung, in der zur Bewerbung aufgerufen wurde, lag schon im Müll, oder besser: Sie lag ganz oben auf dem gebündelten Stapel Altpapier, den seine Töchter beim Wertstoffhändler gegen ein paar Euro eintauschen wollten. Da las er „Potsdam läuft“ in großen grünen Buchstaben und sah darüber ein Bild von laufenden Menschen. „Mein Thema“, begriff er sofort. „Ich habe Laufen immer als Freiheit, als Zugewinn erlebt“, sagt Fischer. „Auch in schwierigen Zeiten“, fügt er an. Schon jetzt, kurz nach dem Start von „Potsdam läuft“, merke er, dass er „zwei Gänge höherschaltet“, wenn er zum Training fährt. Sich zu spüren, nach einem Training kaputt zu sein – das mache ihn stark. „Ich bin doch erst 50“, sagt er, „hab noch so viele Sachen vor, Ideen, ich kann noch was reißen.“
Mitte Mai will er wieder den Halbmarathon auf dem Rennsteig laufen. „Vielleicht schaffe ich es unter zwei Stunden“, sinniert er. Dabei weiß er nur zu gut: Das wird kein Selbstläufer.
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