Von Henri Kramer: Kein Zurück
Ein Jugendstück am T-Werk versuchte sich an der Frage, wie Amokläufe an Schulen zu vermeiden sind
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Der Satz klingt resigniert. „Ich bin Sven Schacht, ich bin der Idiot vom Dienst“, sagt der junge Mann zu sich selbst. Und schaut in den Spiegel vor sich. Mit düsterer Miene spricht er: „Bald werden mich alle kennen lernen.“ 60 Theaterminuten später wird er Namen auf eine Tafel schreiben und nach jedem Pistolenschuss einen wegstreichen.
Warum die fiktive Figur Sven Schacht so geworden ist, wie sie ist, haben in dieser Woche mehrere Schulklassen aus Potsdam und Umgebung im T-Werk erleben können. Unter dem Namen „Amok“ hat dort die Cottbusser Theatergruppe „piccolo“ ein Stück aufgeführt, in dem ein junger Mensch sich selbst nicht mehr versteht. Denn Sven Schacht hat Probleme. Seine Mutter hat die Familie verlassen. Sein einziger Kumpel ist Neonazi, der ihn unter Druck setzt, mit ihm zusammen den rechten Arm zu heben. Und mit seiner Mitschülerin Mirja und seinen Gefühlen zu ihr ist Sven Schacht genauso überfordert wie mit dem Lernen an sich. In dieser Situation häufen sich Missverständnisse, Sven zieht sich immer mehr zurück. Bis er durch Zufall eine Waffe erhält
Doch die sich anbahnende Katastrophe muss so nicht passieren. Das ist die Botschaft, die „Amok“ mit seiner speziellen Art der Inszenierung zeigen soll: Das Stück ist sogenanntes Forentheater mit einer Art Rückspul-Funktion für die Zuschauer. Sie können in Schlüsselmomenten die Handlung per Zuruf stoppen und sich andere Reaktionen der Darsteller wünschen. Ein Moderator vermittelt dabei. „Sie sollen sehen, wie sich Konflikte alternativ lösen lassen“, sagt Regisseur Reinhard Drogla.
Diese Möglichkeit hat im T-Werk interessante Konstellationen entstehen lassen – nicht jede davon war jedoch heilsam für Sven Schacht. So etwa, als er bei seinem Lehrer sitzt, der ihn ermahnt, sich mehr anzustrengen – auf die frechen Antworten des Schülers folgt ein lautstarkes „Raus!“ Sven Schacht fühlt sich unverstanden. Der Gegenvorschlag aus dem Publikum: Der Lehrer soll verständnisvoll nach dem „Warum?“ fragen statt einfach den Jungen anzuschnauzen. Doch auch das funktioniert nicht: Nach mehreren Versuchen, bei denen Sven Schacht noch einmal überlegen soll, wie wichtig die Schule ist, bricht der Moderator die Szene ab: „Ihr seht, dass die ’Warum’-Frage für solche Situationen nicht geeignet ist – besser ist es, ein Problem klar zu definieren und die eigenen Erwartungen zu definieren.“
Wie so etwas praktisch aussehen kann, haben die Schüler in den hinteren Reihen im T-Werk während der Aufführung gezeigt: Einer von ihnen hatte Kopfhörer mit Musik im Ohr. „Das nervt, mach’ das aus“, sagten Mitschüler da in barschem Ton – und ohne Rückspul-Funktion wie auf der Bühne.
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