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Chronisten: Christa Kikels, Karl Kreutz und Ortrud Heßke gehören zum Schreibzirkel „Zeitzeugen“, der am heutigen Donnerstag sein 15-jähriges Bestehen feiern kann.

© Rebecca F. Miller

Landeshauptstadt: Keine Albträume mehr

Der Schreibzirkel „Zeitzeugen“ des Seniorenbeirats feiert heute sein 15-jähriges Bestehen

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Drewitz - Die Kriegszeit habe sie literarisch abgearbeitet, sich „von der Seele geschrieben“, erzählt Christa Kikels. Seit vier Jahren ist die 72-Jährige im Schreibzirkel „Zeitzeugen“ des Potsdamer Seniorenbeirats aktiv. Auf den monatlichen Treffen der Gruppe stellt die Potsdamerin stets ihre Geschichten vor. Persönliche Erlebnisse, gebannt auf meist wenigen Seiten Papier. Ihre Zuhörer, das sind Menschen, denen wie Kikels das kreative Schreiben Freude bereitet. Sie alle haben ihr aktives Arbeitsleben hinter sich. 13 Gleichgesinnte seien sie derzeit. Am heutigen Donnerstag begeht der von Kikels geleitete Kreis mit einer musikalisch-literarischen Veranstaltung in den Räumen des Vereins „Wir für uns“ sein 15-jähriges Bestehen.

Für die passionierte Hobbyautorin Kikels, Jahrgang 1940, war das Schreiben bisweilen so etwas wie eine Therapie, in der ihre Jahrzehnte alte Wunde endlich heilen konnte, entstanden in einer Zeit, als sie noch nicht einmal zur Schule ging. Im Februar 1945 habe sie von ihrem Heimatort Goppeln aus – das liegt im Süden von Dresden – auf die brennende ehemalige Residenzstadt an der Elbe geschaut. Den Anblick konnte sie nie vergessen. Albträume verfolgten sie seitdem. Immer wieder das gleiche Szenario: Ihr Haus, in dem sie als Kind wohnte, wird – schon brennend – in die Luft gesprengt.

Erst im Rentenalter begann Kikels mit dem kreativen Schreiben. Auf dieses Weise habe sie ihr Kindheitstrauma aufarbeiten können. Die Albträume verschwanden. Doch lag das wirklich am Schreiben? „Da bin ich mir ganz sicher“, sagt Kikels.

Wenn sich die Gruppe immer am ersten Donnerstag im Monat in den Räumen des Vereins „Wir für uns“ in der Asta-Nielsen-Straße 1 trifft, dann wird vorgelesen – und kritisiert. Jeder darf seine neuesten Geschichten vortragen. Anschließend wird darüber diskutiert. „Man bekommt Hinweise, aber man muss sie natürlich nicht akzeptieren“, sagt Ortrud Heßke. Die 64-Jährige beschäftigte sich schon in ihrem Berufsleben viel mit Literatur. Als Dozentin brachte sie Lehramtsstudenten an der Pädagogischen Hochschule und später an der Universität Potsdam die deutsche Literatur nahe.

Heßke wohnt im gleichen Haus wie Kikels am Stern. Vor drei Jahren habe Kikels sie für den Schreibzirkel geworben. „Reflektion über Zeitgeschichte – das hat mir gut gefallen“, sagt Heßke. Es seien immer Geschichten, „die wir selbst erlebt haben“, ergänzt Kikels. Persönliche Erlebnisse, eingebettet in Zeitgeschichte, könnte man sagen. Etwa wenn Heßke vom Begrüßungsgeld für DDR-Bürger nach dem Fall der Mauer schreibt oder wenn Karl Kreutz dem Leser den Irrsinn des Kriegsjahres 1944 erzählt. Manchmal, so Kreutz, sei die Erinnerung aber auch trügerisch. Dies komme bisweilen vor. Dann müsse man den Text korrigieren.

13 kleine Bände mit vielen Zeitzeugengeschichten sind in den vergangenen 15 Jahren entstanden, alle geschrieben von den Mitgliedern des Zirkels. Einige der so verewigten Autoren leben inzwischen nicht mehr. Wilhelm Hamann, zeitweilig der älteste Einwohner Potsdams, ist einer von ihnen. Holger Catenhusen

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