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Homepage: „Keine Alternative zum Linksschwenk“

Der Potsdamer Parteienforscher Michael Koß über das SPD-Wahldebakel und das Ende der Volksparteien

Stand:

Herr Doktor Koß, wird die SPD-Spitze Steinmeier-Müntefering das schlechte SPD-Ergebnis nicht überstehen?

Müntefering auf keinen Fall. Sein Rückzug war abzusehen. Ob sich Steinmeier hält, bleibt abzuwarten. Einerseits spricht es für seinen Machtinstinkt – den er als Experte für reibungsloses Regieren nicht immer hat erkennen lassen –, dass er sofort nach der Niederlage angekündigt hat, für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren. Andererseits hat Steinmeier damit auch viele in der SPD vor den Kopf gestoßen, die sich gerade jetzt eine genaue Analyse des Wahldesasters wünschen und keine schröderschen Basta-Entscheidungen.

Wer wird nun stark in der SPD, der linke Flügel um Wowereit und Nahles?

Mittelfristig: Ja. Ich sehe keine Alternative zu einem Linksschwenk der SPD, wenn diese ihren Anspruch, den Kanzler zu stellen, nicht auf absehbare Zeit aufgeben will. Das Parteiensystem dürfte fortan wieder einer Lagerlogik folgen, zumindest auf Bundesebene. Die von vielen prognostizierte Offenheit für verschiedenste Koalitionsbündnisse sehe ich nur bedingt. Schwarz-Gelb wird, um die versprochenen Steuersenkungen durchsetzen zu können, irgendwo den Rotstift ansetzen, und genau dagegen werden die Oppositionsparteien protestieren. Wenn sie dabei erfolgreich sein wollen, müssen sie dies geschlossen und koordiniert tun.

Welche Rolle wird Platzeck spielen?

Voraussichtlich keine zentrale, zumindest nicht auf Bundesebene. Platzeck ist zwar das hellste Licht der SPD im Osten, allerdings hat er auf Bundesebene schon einmal den Rückzug angetreten. Einen Rücktritt vom Rücktritt halte ich für wenig Erfolg versprechend. Diese Ansicht dürfte auch in der SPD verbreitet sein.

In der SPD mehren sich Stimmen, die eine Öffnung zur Linken fordern. Weil die SPD weiß, dass es in Zukunft ohne die Linkspartei nicht mehr geht?

Momentan scheint auch die SPD nicht zu wissen, was wie wann geht. Allerdings spricht vieles dafür, dass die Genossen sich einstweilen daran gewöhnen, enger mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten. Sicherlich muss dazu die Linke in der Außenpolitik Zugeständnisse machen. Die SPD wird sich im Gegenzug wohl in der Sozialpolitik bewegen.

Wird nach der nächsten Wahl vielleicht sogar Rot-Rot-Grün möglich werden?

Bei allen gebotenen Vorbehalten: ich denke ja. Wie gesagt, ich sehe keine anderen Konstellationen, in denen die SPD ihren Anspruch auf die Kanzlerschaft wird behaupten können. Die siegestrunkene FDP aus ihrem Bündnis mit der Union zu lösen, dürfte aussichtslos sein, zumal die Liberalen in diesem Fall ihr komplettes wirtschaftspolitisches Credo über Bord werfen müssten. Außerdem erwarte ich ohnehin Kurskorrekturen bei der SPD, die eine Annäherung an die Linkspartei vereinfachen werden.

Welche Ursachen hat der Niedergang der SPD?

Die vielleicht wichtigste Ursache sehe ich darin, dass sie im Gegensatz zur Union mit Grünen und Linkspartei zwei direkte Konkurrenten hat. Die Union ist ebenfalls in ihren Grundfesten erschüttert, nur fällt das zum jetzigen Zeitpunkt nicht so auf, weil es – Gott sei Dank – aus historischen Gründen keine „Rechtspartei“ analog zur Linkspartei gibt. Deshalb kann die Union sich ein bemerkenswert sozialdemokratisches Profil leisten. Sie verliert zwar massiv an die FDP, kann aber auch sozialdemokratische Wähler zu sich herüberziehen. Die SPD hat damit einen vierten Konkurrenten im Parteiensystem – mehr als jede andere Partei.

Agenda 2010 und Rente mit 67 – es hätte den Genossen doch vorher klar sein müssen, dass sie damit ihre oft gewerkschaftlich gesinnte Stammwählerschaft verprellen?

Sicherlich. Diese vermeintlich harten Entscheidungen haben nicht zuletzt historische Ursachen: Seit dem noch aufs Kaiserreich zurückgehenden und seitdem stets erneuerten Vorwurf, bei den Sozialdemokraten handle es sich um „vaterlandslose Gesellen“, legt die SPD immer wieder extremen Wert darauf, ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Und in der Tat, viele umstrittene Entscheidungen der SPD hatten gesamtpolitisch viel für sich. Allerdings wurden sie oftmals in erratischen Alleingängen getroffen und – vorsichtig formuliert – suboptimal vermittelt. An dieser semiautokratischen Geheimpolitik krankt die SPD mehr als an ihren konkreten Entscheidungen.

Auch CDU/CSU stehen schlecht da. Erleben wir tatsächlich das Ende der Volksparteien?

Ich denke in der Tat, dass die Ära der Volksparteien vorerst vorbei ist. Die Gesellschaft ist mittlerweile so fragmentiert und ausdifferenziert, dass es einzelnen Parteien kaum noch möglich scheint, Wähler, die ja auch in der Realität kaum etwas miteinander verbindet, anzusprechen. Auch in dieser Hinsicht nährt sich Deutschland der europäischen Normalität an, denn Großparteien kämpfen heute überall mit den selben Problemen, selbst in Großbritannien, wo das Mehrheitswahlrecht kleine Konkurrenten viel effektiver in Schach hält als anderswo.

Schwarz-Gelb macht nun ein Ende der Großen Koalition möglich. Sind wir damit tatsächlich zurück auf dem Weg zur demokratischen Normalität?

Im Gegensatz zu vielen anderen Beobachtern konnte ich wenig Unnormales an der Großen Koalition entdecken. Sie hat schnell und effektiv auf die Finanzmarktkrise reagiert, das Zusammenspiel der Akteure verlief relativ reibungslos. Allerdings ändert sich nun die Logik der politischen Auseinandersetzung, insofern stellt das Ende der Großen Koalition schon eine Zäsur dar. SPD und CDU dürften auf absehbare Zeit keine Bündnisse mehr miteinander eingehen. Stattdessen werden sich SPD und Linkspartei einander annähern, denn andernfalls fallen die Sozialdemokraten auch de facto auf den Status einer mittleren Partei zurück, den sie formal momentan schon haben. Die spannende Frage wird sein, ob die Grünen sich als Teil des linken Lagers begreifen oder versuchen werden, sich als Reservepartner von Union und FDP aufzustellen.

Fragen von Jan Kixmüller

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