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Die Miniermotte frisst weiter die Rosskastanien kahl / Biologen der Uni empfehlen regelmäßiges entfernen des Laubes

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Die Miniermotte frisst weiter die Rosskastanien kahl / Biologen der Uni empfehlen regelmäßiges entfernen des Laubes Von Jan Kixmüller Sie ist winzig klein nur 4 bis 5 Millimeter lang, metallisch rostbraun bis ockerfarben mit einer schwarzweißen Flügelzeichnung, ihre Beine sind gescheckt. Auffälliges Merkmal: lange Haare an den Flügeln, die eine Windverbreitung begünstigen. Seit Mitte der 80er Jahre frisst sie sich durch die Rosskastanien Europas. Bis Mazedonien lässt sich die gefräßige Spur zurückverfolgen, dann fehlen den Ermittlern weitere Hinweise. Sie reist gerne in LKWs, Schiffen Flugzeugen oder auch einfach im Auto. Gerne lässt sie sich auch vom Luftsog der Autobahnen und Fernstraßen mitreißen. So springt sie von Land zu Land, nach Großbritannien hat sie es schon geschafft, nur Skandinavien ist ihr bislang noch zu weit. Die Cameraria ohridella, besser bekannt als Rosskastanien-Miniermotte, hat eine steile Karriere gemacht. Nur zehn Jahre hat sie gebraucht, um sich quer durch Deutschland zu futtern. Ihre hungrigen Larven bewirken, dass bereits im Juli die Braunfärbung der unteren Bereiche der Kastanienkronen und erster Laubfall einsetzen; die Larven beißen sich in winzigen Gängen durch das Innere der Blätter. Wer an den abgefressenen Anblick der Kastanien im vergangenen Jahr denkt, dem ist klar, dass dem Schädling Einhalt geboten werden muss. Allein in Potsdam stehen 2000 bis 3000 große Kastanien. Wenn man in diesem Sommer am Neuen Palais spazieren geht, könnte allerdings der Eindruck entstehen, dass alles gar nicht so schlimm ist. Die Kastanien strotzen in sattem grün, nur vereinzelt sind bei genauem Hinsehen ein paar zerfressene Stellen auszumachen. Doch das ist nicht bei allen Kastanien so. Claudia Flügel sitzt in einem Kellerraum am Institut für Biochemie und Biologie der Universität Potsdam. Hier auf dem Areal des Botanischen Gartens arbeitet sie seit Monaten an einer Diplomarbeit zu dem Mottenbefall. „Als Biologstudent geht man mit besonders offenen Augen durch die Parks“, erzählt die angehende Biologin. „Und dann will man ergründen, weshalb die Kastanien so krank aussehen.“ Claudia Flügel kennt den Weg zu dem im nahen Paradiesgarten stehenden „Kontrollbaum“. Sein Anblick ist traurig, zerfressen und krank hängen seine Blätter herab, wie bei den Bäume im vergangenen Jahr. Der Grund für den unterschiedlichen Zustand der Bäume ist schnell erklärt. Bei den Kastanien vor dem Neuen Palais wurde das herabfallende Laub im vergangenen Jahr mehrfach weggeräumt. So wurde ein Großteil der winzigen Puppen daran gehindert, im Boden zu überwintern. Der Effekt ist deutlich. Eine Methode, die in den vergangene Jahren auch in Münchner Biergärten mit Erfolg angewandt wurde. Hinzu kommt der bislang recht kühle Sommer. Für die Motten nicht das günstigste Klima; sie vermehren sich langsamer als bei Hitze. Im vergangenen, sehr heißen Sommer haben sie sogar drei Generationen auf den Weg gebracht, bei einem kälteren Sommer rechnen die Biologen nur mit zwei Generationen. Wichtig dabei auch die mittleren Temperaturen im Frühjahr. Bei günstiger Witterung schlüpfen die Motten schon Ende April aus den Winterpuppen. Dennoch, die Cameraria ist zäh, und auch der kühle Sommerauftakt in diesem Jahr hat sie nicht daran gehindert, vielen Rosskastanien gehörig zuzusetzen. Claudia Flügel warnt davor, das Problem auf Grund der in diesem Jahr stellenweise besseren Lage in Potsdam zu verharmlosen. Denn bei den gesunden Bäumen wurde 2003 das Laub sorgsam entfernt. Bei einer Fahrt übers Brandenburger Land habe sie zahlreiche stark geschädigte Bäume gefunden. Auch im Potsdamer Stadtgebiet und in den Parks ist der Miniermottenbefall an den Standorten, bei denen die Motten im verbliebenen Laub überwintern konnten, zum Teil sehr stark. Mit Beginn des Frühjahrs 2003 begannen Ökologen der Universität Potsdam unter Leitung von Prof. Dr. Dieter Wallschläger und Prof. Dr. Axel Gzik, mit einem Forschungsprogramm, das es ermöglicht, aktuelle Aussagen zum Falterflug, zum Befall und zu Schäden an den Kastanien zu erfassen, um die Bekämpfung wissenschaftlich zu begleiten. Insgesamt sind derzeit rund zehn Biologen der Uni Potsdam mit Untersuchungen der Miniermotte beschäftigt. So werden etwa mit Sexuallockstoff-Fallen wöchentlich an verschiedenen Orten die Flugaktivitäten der Falters dokumentiert, die Fraßaktivitäten der Larven mit einem rechnergestützten Auswertungsverfahren verfolgt und physiologische Veränderungen in den Blättern der Kastanien erfasst. Warum die Miniermotte gerade in den vergangenen Jahren in Mitteleuropa aufgetaucht ist, lässt sich noch nicht eindeutig erklären. Zumindest weiß man so viel, dass sie bei uns keine natürlichen Feinde hat und mit der Rosskastanie einen Wirt fand, an dem sie nur wenig Konkurrenz durch andere Parasiten hat. Eine These erklärt das recht plötzliche Auftreten der Motte mit dem Wirtswechsel vom Bergahorn zur Rosskastanie. Die Suche nach dem Ursprung das Schädlings ist sehr wichtig, erklärt die Biologin Claudia Flügel. Denn nur so könne man den natürlichen Feinden des Schädlings auf die Spur kommen. Die Stadt Potsdam hat mittlerweile mit dem Insektizid Neem-Azal nach eigenen Angaben an mehreren Bäumen im Stadtgebiet gute Erfahrungen gemacht. Unterm Strich empfiehlt Claudia Flügel jedoch, das heruntergefallene Laub weg zu räumen – und zwar mehrfach im Jahr und so schnell wie möglich. Sonst haben die winzigen Puppen ausreichend Zeit, sich auf den Boden fallen zu lassen, um hier zu überwintern. Auch müsse nicht nur im Herbst das Laub entfernt werden, sondern bereits im Sommer, da nicht alle Puppen sofort zu Faltern werden. Bereits bis zu einem Drittel der Entwicklungsstadien der ersten und zweiten Generation kann im Laub überwintern. Und schließlich ist das Abtragen des Laubes im Vergleich zu den Insektiziden nach Ansicht der Biologiestudentin für die Umwelt die unbedenklichere und für die Stadt die preiswertere Lösung.

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