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Dokumentarfilmer Andreas Kieling bei Dreharbeiten in Afrika.

© dpa/ ZDF

Vortrag „Im Bann der wilden Tiere“ im Nikolaisaal: Keine Gefahr

Ganz nah an Krokodilen und Grizzlybären: Naturfilmer Andreas Kieling ließ den Nikolaisaal staunen.

Liebe Kinder, liebe Eltern: Bitte machen Sie so etwas nicht nach. Denn Andreas Kieling kennt sich mit wilden Tieren aus. Das ist eine ganz andere Perspektive auf Leichtsinnigkeit, die hat mit der unseren nichts zu tun. Mit Krokodilen in Australien tauchen, mit Elefanten durch die Savanne ziehen, oder mitten in einem Rudel Grizzlybären ein Nickerchen halten: Das ist viel zu gefährlich.

Alles eine Frage der Einstellung natürlich, glaubt man Andreas Kieling, dem Abenteurer und Weltenbummler, der als Dokumentarfilmer vor allem für die Naturfilmreihe „Terra x“ vom ZDF unterwegs ist. Am Mittwochabend war er mit seiner Vortragsreihe „Im Bann der wilden Tiere“ im Nikolaisaal, eine bis auf den letzten Platz ausverkaufte Veranstaltung. Und wenn man dort gesessen hat, dann weiß man auch, warum das so war: Kieling verkörpert – stilecht mit halblanger Schüttelfrisur, Jeans und ausgeleiertem Sweater – die Sehnsucht nach dem Unentdeckten, welche der Sehnsucht nach der Konservierung des Bestehenden so dermaßen entgegensteht, dass dieser Magnetismus einem schlicht den Atem raubt. Fernweh kann so schmerzhaft sein. Und dazu noch diese omnipräsente Lebensgefahr, die durch jede Szene der Dokumentationen wabert. Man möchte so gern dabei sein, aber ach: viel zu gefährlich.

Dabei ist Andreas Kieling die Personifikation des „einer von uns“, einer, der zu keiner Zeit diese dokumentarische Abwesenheit eines Richard Attenborough hat, der einem Bildungsauftrag hinterherrennt, oder eines „Crocodile Hunter“ Steve Irwing, dessen konsequent herausgeforderten Nahtoderfahrungen mit der australischen Wildnis zu dessen unausweichlichem Ableben führen mussten: Tod durch Stachelrochen.

Ganz davon entfernt ist Andreas Kieling jedoch nicht. Etwa wenn er in Namibia – oder doch schon Tansania? – den Orang-Utans zu nahe kommt. „Kiss my ass!“, sei die Botschaft eines der Menschenaffen gewesen, „Verzieh dich!“, wie der zweifache Vater Kieling grob übersetzt. Und während er durch die Berge kraxelt, findet er ein Exemplar der Kannenpflanze Nepenthes, ein gut gewachsener Vertreter der fleischfressenden Pflanze. Und nimmt einen Schluck aus der Kanne. Verzieht kein Gesicht. „Schmeckt leicht enzymisch“, sagt er. Wie bitte? „Nach Verdauungssäften.“ Aha.

Nicht mal die Krokodile, mit denen er im australischen Northern Territory schwimmen geht, scheinen ihn zu beeindrucken. Oder die Puffotter, die er in Afrika eigenhändig fängt: „Ich bin großer Reptilienfreund“, sagt Kieling. „Ich komme ja aus dem Thüringer Wald.“ Dort sei er schon als Kind mit einem Floß die Saale bis zur Mündung heruntergeschippert, auf den Spuren von Twains „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“. Vielleicht ein Erklärungsansatz für dieses pathologische Fernweh, mit dem Kieling berühmt geworden ist: 1976 – Kieling war damals gerade 16 Jahre alt – hat er die Donau zwischen Tschechoslowakei und Österreich durchschwommen, um in den Westen zu gelangen, die Kugel eines Grenzsoldaten blieb in ihm stecken, aber er schaffte es. Seitdem schafft er alles. Immer.

„Falls Sie mal mit Elefanten unterwegs sind: Ziehen Sie niemals ein weißes Hemd an. Das ist eine Signalfarbe!“ Da kommt man als Brandenburgischer Provinzgast, der seine Ferien vornehmlich auf Rügen verbringt, natürlich ins Schwitzen. Überhaupt sei es ja ganz einfach, im australischen Adelaide River nicht von Krokodilen gefressen zu werden: Unter drei Metern Tiefe bekomme ja kein Krokodil das Maul mehr auf. Gut zu wissen.

Und immer wieder ein kurzes Schluchzen, das vom Fernweh ausgelöst wird und durch Zwischenapplaus kompensiert wird. Da geht es Kielings Kindern besser: Sein großer Sohn Erik wurde im Alter von neun Jahren bereits mit auf Segeltour durch Alaska genommen, mitten im Bärengebiet. Ging alles gut, immerhin sind die Bären Kielings alte Kumpels. Ein paar Jahre später kehrt er mit Ehefrau und den beiden Söhnen zurück, die Reise wird fast zum Desaster, als sie kurz nach dem Start mit dem Segelboot stranden. „Meine Frau ist nie mehr nach Alaska zurückgekommen“, erzählt er. Und setzt nach: „Wir sind auch nicht mehr zusammen.“ Vielleicht lauert die Gefahr einfach ganz woanders. 

Die nächste „Weitblicke“-Lesung findet am 22. März mit Michael Martin und „Planet Wüste“ im Nikolaisaal statt

Oliver Dietrich

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