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Von G. Berg, J. Haase, H. Kramer und J. Wedemeyer: Keine Panik

Wartelisten bei der Verbraucherzentrale, fünf Millionen Euro Minus in der Stadtkasse, das Geiger-Kolleg vor dem Aus: Aber sonst ist fast alles in Ordnung. Wie sich die Finanzkrise auf Potsdam auswirkt

Stand:

Ist die Finanzkrise in Potsdam angekommen? Ja, sagt die Wirtschaft. Aber noch sei sie kaum spürbar. Die Potsdamer sorgen sich trotzdem. Ein Überblick: 

Banken und Sparkassen

Die Sparkassen profitieren von der Krise: „Wir verzeichnen im Oktober einen zweistelligen Zuwachs bei den Konto-Einlagen“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der Mittelbrandenburgischen Sparkasse (MBS), Walter Schubert, den PNN. Anleger schichteten ihr Vermögen von Wertpapieren auf festverzinste Spareinlagen um. Und die Kunden verschieben geplante Anschaffungen zeitlich nach hinten. Auch haben laut Schubert im Oktober mehr Kunden neue Konten bei der MBS eröffnet. Schubert äußerte sich sehr zufrieden über diese Entwicklung. Das Geschäftsmodell der Sparkasse habe sich bewährt. Die Refinanzierung vergebener Sparkassen-Kredite erfolge im Wesentlichen über die Einlagen der vielen Konto-Kunden und nicht über Kredite bei anderen Banken oder gar durch Investitionen „in wilde Dinge“ auf dem Surprime-Markt. Im Gegenzug habe die Sparkasse Anlegern nie horrende Gewinne anbieten können. „Risiko und Zinssatz stehen in einem Verhältnis“, sagte Schubert. Nun sei die Zinsjagd zu Ende, „jetzt steht Sicherheit im Vordergrund“.

Papiere der insolventen Investmentbank Lehman Brothers habe die MBS ihren Kunden nicht verkauft. Aber „selbstverständlich“ habe die MBS der BayernLB Kredite gegeben, erklärte Schubert. Sorgen habe er deshalb nicht. Es seien nicht die Landesbanken, die Auswirkungen auf die MBS hatten oder haben. Für die Rettung der IKB-Bank dagegen musste die MBS einen Anteil von 780000 Euro zahlen, „in cash“. Schubert: „Das hat schon wehgetan.“ Für die Rettung der Hypo Real Estate habe die MBS eine Bürgschaft von anteilig dreieinhalb Millionen Euro abgeben müssen. Schubert beantwortete auch die Frage nach der Höhe seines Jahresgehaltes: Es liege „deutlich unter 500 000 Euro“.

Arbeitsmarkt

Der Aufschwung auf Potsdams Arbeitsmarkt hält trotz Finanzkrise an. Es gebe keinerlei Probleme, sagte Dieter Ecker-Lasser, der operative Geschäftsführer der Potsdamer Arbeitsagentur. Die Arbeitsmarktzahlen sind im September zumindest wieder leicht gesunken: Laut Statistik gibt es in Potsdam rund 6300 Arbeitslose. Die Unternehmen stellten weiterhin ein, betonte Ecker-Lasser. Rund 3000 gebe es in Potsdam und Umgebung. Auch künftig werde der Arbeitsmarkt der Landeshauptstadt kaum von der Finanzkrise betroffen sein. Denn der Standort sei geprägt von Verwaltung, Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen. Auf diese Bereiche wirke sich die Krise nicht aus.

Wirtschaft

„Vom Grundsatz her sind natürlich alle Branchen betroffen, weil das System instabil läuft“, erklärt Jens Ullmann, Leiter des Fachbereichs International bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Potsdam: „Das betrifft auch die Region Berlin-Brandenburg.“ Auch Potsdams Stadtkämmerer Burkhard Exner rechnet bereits mit Einnahmeverlusten in Höhe von 5 Millionen Euro bei der Gewerbesteuer. Fragt man bei den Unternehmen vor Ort nach, sind die wenigsten so auskunftsfreudig wie Manfred Krenz, Verkaufsleiter bei Seat: Es gelinge selten, Kunden in die Geschäfte zu locken, sagte er den PNN. Die Potsdamer seien vorsichtiger beim Kauf geworden, besonders die Frauen. „Früher haben sie ein Auto höchstens vier Jahre gefahren, jetzt behalten sie es sieben, acht Jahre.“ Autos zu verkaufen sei zurzeit schwierig, bestätigen auch andere Autohausbesitzer. Die Potsdamer hielten das Geld in der Tasche, sagen sie.

Auf das Volkswagen Design Center in der Schiffbauergasse hat das jedoch keine Auswirkungen, wie ein Konzernsprecher in Wolfsburg erklärt. Beim benachbarten Softwarehersteller Oracle gibt man sich auf die Frage nach Auswirkungen der Finanzkrise zugeknöpft: „Dazu äußern wir uns nicht“, heißt es auf Anfrage in der Zentrale in München.

Als Gebot der Stunde bezeichnet Potsdams Sparkassen-Chef Walter Schubert es, den Übergriff der Finanzmarktkrise auf die Realwirtschaft zu verhindern. Jeder Unternehmer mit einem vernünftigen Geschäftsmodell, der Zins und Tilgung leisten kann, bekomme einen Kredit. In 2008 werde die Kreditsumme, die die MBS im gewerblichen Bereich ausreicht, sogar um 16 Prozent über der des Vorjahres liegen.

Filmbranche

Besorgt zeigt sich Gerhard Bergfried, der Medienbeauftragte der Landeshauptstadt. Auch wenn Studio Babelsberg eine „gesunde Basis“ habe: „Das alles steht und fällt natürlich mit den ausländischen Produktionen.“ Ob Hollywood in Krisenzeiten patriotisch zuhause bleibt oder in die günstigeren ausländischen Studios ausweicht, darüber will momentan niemand spekulieren. Wenn überhaupt, dann ist erst in zwei Jahren etwas von der Krise spürbar, sagt Olaf Skrzipczyk, Chef von Exozet Effects. Mit seinen 20 Mitarbeitern im FX Center kann er bis zu fünf Filme gleichzeitig mit visuellen Effekten ausstatten. Eine Dienstleistung, die in Zeiten knapper Kassen sogar gefragter werden könnte, wie Skrzipczyk hofft.

Immobilien

Um den 2007 noch boomenden Potsdamer Immobilienmarkt ist es still geworden. Das Jahr 2008 ist weit schwächer als die vergangenen drei Jahre, sagte Günter Fischer, Chef des Maklerbüros „Engel & Völkers“. Vor allem bei den gewerblichen Immobilien. „Die ganzen ausländischen Investoren sind verschwunden“, sagt Fischer. Und auch die einheimischen haben es schwer, ihre Immobilien-Projekte zu finanzieren. Noch im vergangenen Jahr hätten die Banken von den Immobilienkäufern einen Eigenanteil zwischen zehn und 20 Prozent verlangt. Derzeit gäben sie nur Kredite, wenn die Käufer zwischen 30 und 40 Prozent aus der eigenen Tasche zahlen können. Auch die Makler von Dahler & Company merken, dass die Haus-Käufer sich zurückhalten. Und dass, obwohl laut Geschäftsführer Ralf Lenfers seine Kunden nicht von Krediten abhängig sind: „Wir bieten sehr hochwertige Wohnobjekte an, unsere Kunden haben das Geld.“ Das Problem: Sie hätten es meist in Fonds angelegt. Auflösen wollen sie diese aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Denn wegen der Finanzkrise verlieren die Fonds momentan an Wert. „Also verschieben die Kunden den Hauskauf.“ Trotzdem glauben sowohl Fischer als auch Lenfers, dass sich die Finanzkrise in naher Zukunft sogar positiv auf den Immobilienmarkt auswirken könnte: Die Leute wollten dann lieber weit weg von der unruhigen Börse in ihre Altersversorgung investieren.

Universität und Institute

Während das Abraham-Geiger-Kolleg zur Rabbinerausbildung wegen der zurückgehenden Spenden aus den USA bereits vor dem Aus steht, macht sich Barbara Obst-Hantel, die Kanzlerin der Universität Potsdam, „keine ernsthaften Sorgen“. Die Finanzierung auch für die Drittmittelprojekte – die rund ein Viertel des Uni-Haushalts ausmachten – sei sicher. Es handele sich dabei nicht um Gelder aus der privaten Wirtschaft, sondern um öffentliche Finanzierungsquellen – wie etwa die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Auch das Hasso-Plattner-Institut ist von der Krise „praktisch nicht betroffen“, erklärt HPI–Sprecher Hans-Joachim Allgaier.

Verbraucher

Die Potsdamer seien in der Krisenzeit sehr besonnen, aber besorgt. Jedenfalls müssen die Banken zurzeit viele Beratungsgespräche führen. Auch in der Verbraucherzentrale am Hauptbahnhof gibt es wesentlich mehr Anfragen zum Thema Geld, sagt Chefin Sylvia Schunke. Zwei Wochen Wartezeit sind für eine detaillierte Finanzberatung nötig, für dringende Kurzberatungen viel Geduld. Während solcher Gespräche haben die Berater bereits Potsdamer Opfer der globalen Krise kennen gelernt: Zum Beispiel einen Kunden, der bei der Pleite-Bank Lehmann Brothers 45 000 Euro angelegt hatte. „Mit großer Wahrscheinlichkeit ist das Geld weg“, sagt Schunke.

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