
© Doris Spiekermann-Klaas
Von Patricia Hecht und Rita Nikolow: Keine Privatsache
Immer mehr Kinder und Jugendliche gehen in Berlin und Potsdam auf nichtstaatliche Schulen. Eine Initiative fordert nun eine bessere Finanzierung. Bildungsforscher sagen, Eltern sprechen dem staatlichen System das Misstrauen aus.
Stand:
Im Klassenraum ist es still. Schüler der siebten bis neunten Klassen der Evangelischen Schule Berlin Zentrum haben gerade Unterricht im „Lernbüro“, in dem frei gearbeitet wird. Bei Fragen helfen ihnen die Lehrer weiter – oder die Klassenkameraden. Das Lernbüro ist ein wichtiger Pfeiler des Schulkonzepts der reformpädagogischen Schule in freier Trägerschaft, die rund 60 Euro im Monat kostet. Jeder Schüler soll für das Lernen begeistert, jeder soll in den jahrgangsübergreifenden Klassen individuell gefördert werden und viele Projekte absolvieren – sich zum Beispiel im Altenheim sozial engagieren. In jeder Klasse sind zwei Lehrer, der Stundenplan lässt viel Raum für fächerübergreifenden Unterricht. Noten gibt es erst ab der neunten Klasse. Für die nächsten siebten Klassen haben sich 362 Schüler auf 75 Plätze beworben.
In Berlin gibt es momentan rund 190 sogenannte Ersatzschulen in freier Trägerschaft, die staatlich anerkannt sind und häufig als „Privatschulen“ bezeichnet werden. In Potsdam und Umgebung sind es etwa 20, Tendenz steigend. Hier können die Abschlüsse gemacht werden, die auch staatliche Schulen anbieten. Nun fordert die Initiative „Schule in Freiheit“, deren Vertreter am Donnerstag im Schulausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses sprechen, mehr finanzielle Unterstützung für Schulen in freier, und mehr organisatorische sowie inhaltliche Freiheit für Schulen in staatlicher Trägerschaft (siehe Interview).
Unter den privaten Schulen der Region Berlin und Potsdam sind konfessionelle Schulen wie die katholische Marienschule oder das Evangelische Gymnasium Hermannswerder, reformorientierte wie die Waldorfschule oder auch die Babelsberger Oberlin-Schule, die körper- sowie hörseh-behinderte Kinder unterrichtet. Die Zahl der Schüler, die auf Schulen privater Träger gehen, steigt bundesweit kontinuierlich an. In Brandenburg hat sich die Zahl der Privatschüler in den vergangenen zehn Jahren vervierfacht: von 4500 auf rund 18 000 Schüler. In Berlin nahm die Zahl von rund 16 600 Schülern vor zehn Jahren auf rund 28 000 in diesem Jahr zu – rund neun Prozent der Schüler gehen damit nicht mehr auf staatliche Schulen. In Potsdam liegt der Anteil derer, die eine Schule in freier Trägerschaft besuchen, bei 20 Prozent. „Die Eltern sprechen eine Misstrauenserklärung an staatliche Schulen aus“, sagt der Bildungsforscher Jörg Ramseger von der Freien Universität Berlin. Dabei zeigt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung, dass Privatschulen nicht durchweg besser als staatliche Schulen sind – was die Leistungen der Schüler betrifft. „Deutlich besser schneiden sie jedoch in Bezug auf das Schulklima, die Förderkultur und das Ansehen der Lehrer ab“, sagt Ramseger.
Die Meinungen über Schulen in freier Trägerschaft gehen in der Öffentlichkeit weit auseinander. Einerseits, so Kritiker, würden hohe Gebühren die soziale Entmischung verstärken. Auch das Maß an Information und Engagement, das Eltern aufbringen müssen, um eine solche Schule zu wählen, tue ihr übriges. „Die Kluft zwischen den verschiedenen sozialen Schichten wird automatisch größer“, sagt etwa Peter Sinram von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Für Befürworter birgt dieser Schultyp jedoch große Potenziale: So etwa die Chance, neue Unterrichtsformen und Lernstrategien zu entwickeln. „Viele schulische Innovationen sind an Privatschulen entwickelt worden“, sagt Andreas Wegener, Vorsitzender des Verbands deutscher Privatschulen Berlin-Brandenburg und Leiter der privaten Kant-Schule. „Anerkannte Ansätze wie die Ganztagsschule oder auch vorschulische Bildung durchliefen hier den Test auf Praxistauglichkeit, bevor das staatliche Bildungssystem sie übernahm.“
Nach Wegeners Ansicht liegen die Hürden für die Gründung von Schulen in freier Trägerschaft nirgends so hoch wie in Berlin. Denn bevor neu gegründete Schulen in der Stadt finanzielle Unterstützung von staatlicher Seite bekommen, müssen sie sich mindestens drei Jahre lang selbst finanzieren. Zuschüsse werden laut Senatsbildungsverwaltung frühestens dann bezahlt, wenn der erste Jahrgang die letzte Jahrgangsstufe erreicht hat – bei Grundschulen also nach fünf Jahren. Bis dahin braucht die Schule eigenes Kapital. Ist die Anfangsphase erfolgreich überstanden, werden den Schulen 93 Prozent der Personalkosten erstattet. Für alle anderen Kosten wie etwa Miete oder Instandhaltung müssen sie jedoch alleine aufkommen. Eine Änderung der Finanzierung ist laut Senatsbildungsverwaltung „auf absehbare Zeit nicht beabsichtigt“. Das sei vorhersehbar, sagt Bildungsforscher Ramseger: „Der Staat ist bemüht, die Gründung von Schulen in freier Trägerschaft sehr schwer zu machen.“
Gleiches hat auch die SPD in Brandenburg vor: die Gründung neuer Schulen in freier Trägerschaft zu erschweren. Bislang gilt in Brandenburg: Wer eine Schule gründet, erhält nach zwei Jahren Zuwendungen in Höhe von 94 Prozent der Personalkosten vom Land. Frank Hohn von der Hoffbauer Bildung gGmbH, einer der größten Schulbetreiber in Berlin-Brandenburg, spricht von etwa 60 Prozent der Gesamtkosten, die durch Zuschüsse des Landes gedeckt werden. Diese seien in den vergangenen zwölf Jahren bereits drei Mal gekürzt worden. Die Einrichtungen sind also darauf angewiesen, weitere Gelder zu akquirieren – zum Beispiel durch Stiftungen, die die Schulen tragen, oder Schulgeld, das die Eltern bezahlen müssen. Deren Höhe wiederum variiert stark und reicht von zweistelligen Monatsbeträgen bis hin zu mehreren hundert Euro im Monat. Zugleich sind Schulen in freier Trägerschaft jedoch dazu verpflichtet, Modelle zu schaffen, damit auch sozial schwache Eltern ihre Kinder auf Privatschulen schicken können. Viele Schulen bieten deshalb Stipendien, Geschwisterermäßigungen oder gestaffeltes Schulgeld an.
Martin Hoyer vom Paritätischen Wohlfahrtsverband begrüßt, dass die Initiative „Schule in Freiheit“, die etwa mit dem Schauspieler Axel Prahl auch prominente Unterstützer gefunden hat, eine neue Diskussion über die Finanzierung von Schulen in freier Trägerschaft in Gang setzen könnte: „Schließlich kassieren diese Schulen ihr Schulgeld nicht zum Spaß“, sondern, weil es nicht anders gehe.
Eine der Forderungen wird jedoch sogar von Andreas Wegener skeptisch gesehen, dem Vorsitzenden des Privatschulverbands, der die Volksinitiative grundsätzlich unterstützt: Die Abschaffung von Lehrplänen und einheitlichen Abschlüssen. „Die Aufsicht darüber gehört in die Hände einer unabhängigen Institution“, sagt Andreas Wegener. Die Berliner Bildungsverwaltung beurteilt die Ziele der Volksinitiative als „hoch problematisch“. Hier würde „auf jegliche Anerkennung von Abschlüssen in anderen Bundesländern oder im Ausland verzichtet“, sagte Sprecherin Beate Stoffers. Absolventen solcher Schulen würden „außerhalb Berlins keinen Studien- oder Ausbildungsplatz bekommen“. (mit jab)
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