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450 Jahre alt wird die Bäckerinnung Potsdam am heutigen Dienstag. Originale Dokumente wie diese Ehrenurkunde aus dem Jahr 1929 sind allerdings kaum erhalten. Braune-Inhaber Werner Gniosdorz recherchiert derzeit zur Innungsgeschichte.

© Manfred Thomas

Von Jana Haase: Keine Scharfrichter und Musikanten

Vor 450 Jahren wurde die Bäckerinnung Potsdam gegründet – am Anfang herrschten „Haß, Groll und Zwietracht“

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Es war ein Zufallsfund, den Werner Gniosdorz im Herbst dieses Jahres machte. Der Inhaber der Traditionsbäckerei Braune in der Friedrich-Ebert-Straße stieß in seinen Unterlagen auf eine Broschüre aus dem Jahr 1910, geschrieben von seinem Urgroßvater, Wilhelm Braune Senior. Es handelte sich um eine Festschrift, die Braune damals anlässlich des 350. Jubiläums der Potsdamer Bäckerinnung verfasst hatte. Die Gründungsurkunde der Innung datiert demnach auf den 8. Dezember 1559, also heute vor 450 Jahren.

Grund genug für die Mitglieder der Bäckerinnung, den wiederentdeckten Geburtstag angemessen zu begehen. „Wir feiern im Januar 2010“, sagt Werner Gniosdorz, selbst im Vorstand der Innung, die heute nicht nur das Potsdamer Stadtgebiet, sondern auch Umlandgemeinden wie Caputh, Töplitz oder Wilhelmshorst umfasst. 18 Betriebe sind laut Gniosdorz derzeit Mitglied, vier davon in der Landeshauptstadt.

Eine magere Zahl, wenn man in die Geschichte blickt: Zwar ist die Anzahl der Gründungsmitglieder der Bäckerinnung nicht bekannt, allerdings gab es zu Hochzeiten im 18. Jahrhundert allein in der jetzigen Innenstadt mehr als 80 Bäcker. Die barocke Stadterweiterung und der damit einhergehende Bevölkerungszuwachs löste einen regelrechten Boom für die Bäcker aus, wie Braune Senior in der Festschrift nachrechnet: Wurden 1733 noch 37 Bäckereien gezählt, waren es drei Jahre später bereits 46 und 1749 schließlich sogar 86.

Dass der Markt für die Bäcker jedoch nicht erst heute hart umkämpft ist, geht schon aus dem Gilde- und Innungsbrief von 1559 hervor: Die „Burgermeister und Rathmannen der Stadt Potstamp“ wollten mit dem neu gegründeten Bund vor allem den Wettkampf zwischen den Bäckern in geregelte Bahnen bringen. Denn der war zuvor von „Haß, Groll, Zwietracht, Irrung ... zwischen Ihnen, Gesellen und Lehrlingen“ geprägt, wie man in der Abschrift der Urkunde bei Braune Senior nachlesen kann.

Akribisch hat Braune die Innungsgeschichte anhand von Akten und Verordnungen nachgezeichnet: Immer wieder änderten sich die Vorschriften darüber, wer überhaupt Bäcker werden kann, wann verkauft werden darf und wohin man sich als unzufriedener Kunde mit „Brod und Semmel, das klantschigt und nicht recht ausgebacken ist“, wendet.

So war etwa im 17. Jahrhundert nicht nur die „eheliche Geburt“, sondern auch die „ehrliche“ Herkunft Voraussetzung für die Aufnahme in die Innung, schreibt Braune. Als „unehrlich“ galten etwa Scharfrichter, Nachtwächter, Musikanten oder Müller. Schon der Umgang mit ihnen konnte Ausschlusskriterium sein.

Festgehalten ist auch das „Unglücksjahr 1806“, als der Magistrat angesichts der anrückenden französischen Truppen die damals 55 Potsdamer Bäcker anwies, 200 000 Brote auf Vorrat zu halten. Die Backstuben wurden sämtlich von den Franzosen in Beschlag genommen. „Leider wurde auch ein Innungsmitglied Opfer der Franzosen“, vermerkt Wilhelm Braune: „Der Bäckermeister Wachsmuth ... geriet mit einem französischen Chasseur, welcher zu früher Morgenstunde frische Semmeln von ihm haben wollte, in Streit und wurde von ihm erstochen.“

Für die Zeit nach 1910 ist die Innungsgeschichte weniger gut aufgearbeitet, bedauert Werner Gniosdorz, der in Vorbereitung auf die Jubiläumsfeier weiterrecherchiert. Der Rückgang der Zahl von Backstuben begann demnach bereits zu DDR-Zeiten: Von 117 Innungsmitgliedern im Jahr 1956 waren 1989 noch 50 geblieben, 14 davon in Potsdam. Heute sind nur noch vier übrig – die Mitgliedschaft ist mittlerweile freiwillig, die Vorschriften kommen von der EU statt aus dem Rathaus. Die Zukunft des Bäckerhandwerks liegt für Gniosdorz in der „Spezialitätenbäckerei“, etwa auf Wunsch gefertigten Torten. Er setzt aber auch auf Kunden, „die auf die Inhaltsstoffe achten“. Hier seien traditionelle Backstuben im Vorteil gegenüber dem Filialenbetrieb von Großlieferanten, die die Haltbarkeit mit mehr Zusatzstoffen sichern müssten. „Dass wir jemals wieder so viele werden, glaube ich aber nicht“, sagt der Konditormeister auch.

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